in die adhoc Arena Jena
Wirtschaftsminister beim Jahresempfang BVMW Potsdam: Es kann nur nach oben gehen
Erstmalig hatte der Bundesverband Mittelständische Wirtschaft (BVMW), Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg Süd-West, zum Jahresempfang in die geschichtsträchtige Eventlocation „Kutschstall/Hofmeisterstatt“ in Potsdam geladen. Über hundertzwanzig Unternehmerinnen und Unternehmer folgten der Einladung, die mit „Zukunft Mittelstand – Metropolregion Berlin-Brandenburg“ thematisch überzeichnet war. In den Redebeiträgen und der sich anschließenden Talkrunde, u.a. unter Beteiligung von Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach und BVMW-Chefvolkswirt Dr. Hans-Jürgen Völz, ging es dazu recht kontrovers her. Im anschließenden Netzwerktreffen wurde unter den Mittelstandsvertretern weiter dazu diskutiert.
Brandenburgs Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach beantwortete die Frage nach „Quo Vadis Mittelstand in Brandenburg?“ salopp mit „Es kann nur nach oben gehen!“, ergänzte dann jedoch: „Aber von einem hohen Niveau aus.“ Mit einigen Zahlen belegte der Minister, dass er seinem vor einiger Zeit provokativ formulierten Ziel der „Bajuwarisierung Brandenburgs“, was Wirtschaftskraft betrifft, durchaus nähergekommen sei. Schließlich stehe Brandenburg in der ökonomischen Entwicklung nach der Corona-Krise besser da als die meisten anderen Bundesländer, dabei habe sogar der produktive Bereich um 13 Prozent zugelegt und das Bruttoinlandsprodukt in Brandenburg zeigte sich 2022 mit 3,3 Prozent über dem Durchschnittswert des Bundes, der nur bei 1,8 Prozent lag. 35 Großprojekte, davon 28 produzierendes Gewerbe, begleite sein Ministerium im Moment. Steinbach zeigte sich auch beim Jahresempfang gewohnt frohgesinnt, bemängelte dabei aber die angesichts der tatsächlich erfolgreichen Entwicklung die eher skeptische, negative Mentalität der Brandenburger - so seine Wahrnehmung. „Die gehen, so scheint es, meist mit dem Kopf nach unten. Da würde ich manchmal gern unters Kinn greifen und den Kopf heben, mit dem Vermerk – schaut her, hier geht`s voran!“Zudem verwies Prof. Steinbach auf die nach wie vor zur Verfügung stehenden Fördermittel unterschiedlichster Art, über die sein Ministerium verfüge: „Die größte Dummheit wäre, das Geld nicht abzuholen, was bei uns liegt.“
Wirtschaftsminister: Es braucht mehr Selbstbewusstsein beim MittelstandDoch auch Sorgen treiben den Minister um – so sei der Industriestrompreis noch nicht da, wo er wettbewerbstauglich hin müsse. Es mangele nicht nur speziell an Fach-, sondern prinzipiell an Arbeitskräften.Die Digitalisierung schreite nur schleppend voran, geschweige denn die praxisbezogene Beschäftigung mit Künstlicher Intelligenz (KI). Auch hier brauche man mehr Selbstbewusstsein, um erfolgreich in die Zukunft zu kommen, so Steinbach.Eine Steilvorlage für Dr. Frank Pawlitschek vom Hasso-Plattner-Institut Potsdam. „Wir brauchen mehr Aufbruchstimmung und Mut, Dinge auszuprobieren.“ Anhand eigener Erfahrungen schilderte der unternehmerisch geprägte Wissenschaftler, dass es gerade im Mittelstand darum ginge, immer wieder zu probieren, zu lernen, zu machen, bei Widerständen aber eben auch w e i t e r zu machen. Er weiß um das Riesenpotenzial, dass Digitalisierung von Prozessen, welche Unternehmen entlasten kann und rief dazu auf, sich die Frage zu stellen: „Was könnte an digitaler Technologie bei mir möglich sein? Wo lohnt es sich?“ Dabei sei keine Branche auszuschließen. Dr. Pawlitschek sieht Brandenburg als den zukünftigen Leitmarkt für digitale Produktion und fragte die anwesenden Mittelstands-Vertreter: „Machen Sie mit?“
BVMW-Chefvolkswirt: Der Mittelstand braucht EntlastungDr. Hans-Jürgen Völz bremste seine Vorredner in ihrem Optimismus mit einer Reihe akribisch zusammengefasster Fakten etwas aus. Er teilte zwar die spezifisch für Brandenburg ausgeführten Visionen, stellte aber die seines Erachtens nach wirtschaftsschädlichen bundespolitischen Rahmenbedingungen der „selbsternannten Fortschrittskoalition“ dagegen. „Dort entscheidet politischer Wille, nicht Sachverstand.“ Die Erdgasversorgung sei nach wie vor nicht sicher und preislich im Rahmen. Die an sich zu befürwortenden Aufstockungen bei Mindestlohn, Wohn- und Kindergeld fehlen jedoch im Bildungssektor und bewirken deshalb langfristig das Gegenteil. Und vom viel beschworenen Bürokratieabbau könne nach wie vor keine Rede sein. Die versprochene Reform der Unternehmenssteuer wurde nicht angegangen, die Arbeitskosten seien in Deutschland mittlerweile um 30 Prozent teurer als im europäischen Durchschnitt. Nicht umsonst ist die Gründerquote gesunken. Das Unternehmertum in Deutschland scheint teuer und riskant zu sein. Der ehemalige Exportweltmeister Deutschland sei vom Thron gestoßen. Der deutsche Mittelstand brauche deshalb eine Entlastungsoffensive, wie sie der BVMW kürzlich angeregt hatte. Dabei ging der studierte Volkswirt auch auf das Thema Förderung ein, machte den damit verbundenen hohen bürokratischen Aufwand für die Betriebe deutlich und konstatierte unumwunden: „Fördermittel, die nicht abgerufen werden, taugen nichts.“ Völz forderte den brandenburgischen Wirtschaftsminister deshalb auf, angesichts der genannten Probleme auf die Bundesebene einzuwirken. 99,6 Prozent aller Unternehmen in Deutschland sind Mittelständler. Die tragen die Hauptlast, was ökonomische Stabilität betrifft, mahnte er an.
Leiter Wirtschaftsrat: Willkommenskultur für UnternehmenTalkrunden-Teilnehmer Götz Friederich, Leiter des Wirtschaftsrats der Stadt Potsdam, bestätigte die Problematik aus langjähriger praktischer Erfahrung. Es ginge auch um eine grundsätzliche Überprüfung des Mindsets, der Denkweise, was die Haltung zur Privatwirtschaft betrifft. Jede Kommune müsse sich fragen, wie und womit man Unternehmen willkommen heißt und bindet. „Wir leben ja vom erfolgreichen Unternehmertum!“ Und dieses Verständnis gelte es auch in die Schulen zu bringen.Die BVMW-Repräsentantin für die Region Potsdam, Birgit Derwanz-Dahlmann, hatte in ihrer Begrüßung formuliert: „Wir sind stolz darauf, was wir gemeinsam mit und für den Mittelstand erreicht haben. Aber wir sind auch zusammengekommen, um mehr einzufordern.“ Beim Jahresempfang ging die Rechnung auf. Zu hoffen bleibt, dass sich der Impuls daraus verstärkt.Ein Herzliches Dankeschön geht an den Hauptsponsor der Veranstaltung Herrn Christopher Weiß / Glockenweiß GmbH, dem Premium Partner Oliver Majowski / 2 M Gruppe und dem Partner Jan Kretzschmar / KW Development.