Gestatten Sie mir, bevor ich einen Ausblick geben möchte, dennoch einen Rückblick:
Vergleicht man nun die derzeitige wirtschaftliche Lage des Mittelstandes in Deutschland mit anderen europäischen Ländern, so kann man meiner Meinung nach durchaus festhalten:
Wir sind besser durch diese Krise gekommen als so mancher unserer europäischen Freunde. Unsere Politik der Schwarzen Null hat in den vergangenen Jahren Früchte getragen und wir konnten durch eine solide Haushaltspolitik zum ersten Mal seit langem wieder Schulden zurückzahlen. Die aktuelle Krise hat uns jedoch gezwungen, im Sinne der deutschen Wirtschaft massiv in den Wirtschaftsstandort Deutschland zu investieren. Für das vergangene Jahr 2020 hat der Deutsche Bundestag eine Kreditaufnahme i.H.v. rund 218 Milliarden Euro genehmigt und noch einmal fast 180 Milliarden Euro für das Jahr 2021.
Inklusive Kurzarbeitergeld haben wir 110 Milliarden Euro an Hilfsgeldern in die Wirtschaft eingebracht - die im Übrigen auch dem deutschen Mittelstand zur Verfügung gestellt worden sind. Durch die November-, Dezember-Hilfen, Überbrückungshilfe II und III sowie die KfW-Förderprogramme haben wir viel Geld in die Hand genommen, um Masseninsolvenzen und Massenentlassungen zu verhindern; auch wenn die Auszahlungen, insbesondere der November-Hilfen, die im Wirtschaftsministerium nur sehr verzögert und umständlich ausgezahlt. Ja, die Corona-Pandemie hat uns gerade im letzten Jahr zu einer heftigen Vollbremsung der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Zusammenlebens gezwungen.
Ich gehe davon aus, dass auch Ihr Verband hinter diesem Herunterfahren der deutschen Wirtschaft gestanden hat, auch wenn er sehr schmerzlich, vor allem für unseren Mittelstand, gewesen ist. Denn noch nie nach dem 2. Weltkrieg war die Wirtschaft in Deutschland so stark eingebrochen - minus zehn Prozent zum Vorjahresquartal. Alte Familienbetriebe mussten schließen und Gründer mussten ihre Geschäftsidee begraben, weil sie hierfür keine Kredite bei der Bank erhalten haben. Ich kenne diese Beispiele selbst aus meinem Bekannten- und Freundeskreis. Leider. So bitter die Erkenntnis auch sein mag, aber wir konnten und können nicht jeden Betrieb retten.
Richtig ist aber auch: Die Konjunktur hatte glücklicherweise nach der ersten Welle des Virus' rasch wieder Tritt gefasst und der Wirtschaftseinbruch in diesem Jahr wird voraussichtlich weniger drastisch ausfallen als noch im Frühjahr befürchtet. Das alles tröstet natürlich nicht über die beschlossene Verlängerung des Shutdowns zusammen mit einer Öffnungsperspektive. Natürlich leiden vor allem die Gastronomie, Einzelhändler, der Tourismus und der deutsche Mittelstand - unser Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft.
Ich bin aber hoffnungsvoll, dass wir mit der Strategie "(Schnell-)testen, Impfkapazitäten erhöhen, sukzessive Öffnungen ermöglichen" so langsam wieder eine annähernde Normalisierung in unserer Gesellschaft und des Wirtschaftsleben haben werden. Auch wenn wir jetzt vor Ostern noch mit einem Dämpfer leben müssen. In der Krise hat sich die deutsche Wirtschaft als extrem Widerstandsfähig bewiesen, das stimmt mich hoffnungsvoll.
Ich denke, als Vertreter des deutschen Mittelstandes werden Sie mir zustimmen, wenn ich festhalte, dass eine verantwortungsvolle Finanzpolitik beides zusammenbringen sollte: Umfassende Ausgaben für eine zukunftsfähige Wirtschaft und eine solidarische Gesellschaft mit soliden und tragfähigen öffentlichen Haushalten. Das ist im besten Sinne generationengerecht. Diese Politik verfolgen wir auch, gerade im Angesicht einer hoffentlich bald zu Ende gehenden Corona-Pandemie.
Wie stellen Sie sich den Abbau der gemachten Schulden im Haushalt vor?
Ein Beispiel für die Solidität unserer Haushaltspolitik ist der Anteil des Bundeshaushaltes, der für die Zinszahlungen aufgewandt wird. Auch hier zeigt sich: Wir können uns die vielen Kredite gut leisten. 2020 wird der Anteil der Zinsen mit rd. 9,7 Milliarden Euro [rd. 16 Mrd. Zinsen und gut 6 Mrd. Disagio] bei unter zwei Prozent an den Gesamtausgaben liegen. Noch 2012 war er mit über zehn Prozent – über 30 Milliarden Euro – deutlich höher.
Darüber hinaus haben wir mit unserem jüngst vorgestellten Zukunftsprogramm eine Idee vorgestellt, wie Schulden abgebaut werden sollen:
Das aktuelle Steuersystem nimmt gerade mittlere Einkommen zu stark in Anspruch. Wir werden eine Einkommensteuerreform vornehmen, die kleine und mittlere Einkommen deutlich besserstellt, die Kaufkraft stärkt und dafür im Gegenzug die oberen fünf Prozent stärker für die Finanzierung der wichtigen öffentlichen Aufgaben heranzieht.
Für diejenigen, die besonders viel verdienen, halten wir an dem Aufschlag von drei Prozentpunkten zur Einkommensteuer fest. Er soll künftig bei Verheirateten für den zu versteuernden Einkommensanteil oberhalb von 500.000 Euro im Jahr, bei Ledigen ab 250.000 Euro im Jahr gelten. Ich denke, dass ist nicht zu viel verlangt, Solidarität auch bei jenen einzufordern, die finanziell problemlos durch den Alltag kommen.
Wie schätzen Sie die Zukunft des EURO ein?
Kurz und gut: Der Euro ist eine der härtesten und stabilsten Währungen weltweit, ich denke die Corona-Krise trägt diesem Umstand noch einmal mehr Rechnung. Der Euro wird uns noch sehr lange als Gemeinschaftswährung erhalten bleiben.
Erwarten Sie eine Inflation?
Auch hier wieder die kurze Feststellung: nein.
Da wir von einer Industrie in eine Digitalgesellschaft gehen die Frage, erwarten Sie eine „neue“ Bildungspolitik ?
Die von einem sozialdemokratischen Finanzminister verantwortete Haushaltspolitik leistet genau das: Sie erhöht Ausgaben für die Zukunftsfähigkeit des Landes und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das zeigt sich insbesondere in der Corona-Krise. Die Investitionen in den sozialen Zusammenhalt liegen 2020 fast 80 Milliarden über denen von 2019. Gleichzeitig liegen im nächsten Jahr die Mittel für Zukunftsinvestitionen des Bundes mit rund 55 Milliarden Euro rund
45 Prozent über denen von 2019. Mit dem Konjunkturprogramm und den Krisenhaushalten setzen wir den eingeschlagenen Weg einer öffentlichen Investitionsoffensive entschlossen fort.
Und: Deutschland soll 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen, über eine voll digitalisierte Verwaltung und ein Bildungssystem, in dem für das Leben in einer digitalisierten Welt gelernt werden kann. In den 2020er Jahren muss Deutschland zur “Gigabit-Gesellschaft” werden. Gerade mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum, die oft global agieren, sind auf schnelles Internet angewiesen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Damit es nicht allein bei Versprechungen bleibt, werden wir die Versorgung aller Haushalte und Unternehmen mit einer Bandbreite von mindestens 1 GBit/s garantieren – durch konkrete, gesetzlich festgelegte
Ausbau- und Versorgungsverpflichtungen und entsprechende Zwischenziele. Hier stehen auch die Netzbetreiber in der Verantwortung.
Wie ist Ihr Zukunftsbild unserer Gesellschaft? Wie sehen Sie die Zukunft unserer Arbeitsgesellschaft?
Eine der zentralen Fragen, die wir uns in unserem Zukunftsprogramm für Deutschland stellen, ist:
Sorgen wir für mehr Zusammenhalt oder lassen wir es zu, dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet und dass Populisten und Nationalisten leichtes Spiel haben? Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft eine hohe Stabilität besitzt und durch eine beeindruckende Solidarität bis jetzt gut durch diese für uns alle schwierige Lage gekommen sind.
Die Demokratie und ihre Verankerung in den Köpfen und Herzen muss aber stetig erneuert werden, damit sie standhält, wenn sie von ihren Feinden angegriffen und infrage gestellt wird. Neue Akzeptanz und neue Begeisterung sowie neuer Respekt für demokratische Institutionen entstehen durch mehr Transparenz und Beteiligung. Natürlich bleibt auch heute der individuelle Aufstieg durch ein gutes Bildungssystem ein zentrales politisches Ziel. Das wird auch unsere Hausaufgabe in den kommenden Jahren sein. Klar muss aber auch sein, dass jede und jeder auch den Anspruch hat, dass der eigene Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl anerkannt wird. Sei es nun die Akademikerin oder die Reinigungskraft, der Koch, Lieferant, die Erzieherin oder die Pflegekraft. Wir brauchen konkrete Zukunftsmissionen, die glaubhaft machen können, dass auch in der künftigen Welt ein respektabler Platz für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Berufstätigen vorhanden sein wird. Dazu gehört im Übrigen das Recht, in der Mitte des Berufslebens noch mal einen neuen Beruf erlernen zu können, wenn dies gewünscht oder nötig sein sollte.
Unser Leitbild ist eine Gesellschaft des Respekts. Kein Mensch möchte, dass auf ihn herabgeschaut wird, weil der sich womöglich für stärker, reicher oder kulturell fortgeschrittener hält. Respekt steht im Alltagsgebrauch in enger Verbindung zu Begriffen wie Anerkennung oder Würde. Der Respekt kann nur erwachsen aus dem Miteinander, aus Kontakten und Gesprächen, die uns in die Lage versetzen, einander zu verstehen.
Ich hoffe, ich konnte Ihren Fragen zur Genüge Rechnung tragen und verbleibe mit freundlichen Grüßen Aydan Özoğuz, MdB
Aydan Özoğuz, Mitglied des Deutschen Bundestages - Staatsministerin a.D.
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