portrait von simon beckett

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01.04.2022

Kontrolliertes Abenteuer

Der britische Bestsellerautor Simon Beckett ist ein Phänomen:

Autor: Günther Keil

Die Bücher des im englischen Sheffield geborenen Schriftstellers erscheinen in 30 Ländern und haben eine Gesamtauflage von rund zwölf Millionen allein im deutschsprachigen Raum.

Im Interview spricht er über seinen neuen Thriller „Die Verlorenen“.

DER Mittelstand.: Mr. Beckett, Ihre neue Thrillerserie erscheint ohne David Hunter, heißt das, Sie haben Ihre berühmte Figur begraben?

Simon Beckett: Nein. Hunter kennt sich auf Friedhöfen ohnehin so gut aus, dass er sich gleich selbst wieder ausgraben könnte – das macht also keinen Sinn. Aber im Ernst: Hunter wird irgendwann wiederkommen. Nach sechs Bänden mit ihm wollte ich allerdings mal wieder etwas Neues ausprobieren. Ich brauche ab und zu die Abwechslung, so wie vor sieben Jahren bei meinem Buch „Der Hof“.

Teilen Sie eigentlich Hunters Leidenschaft für Leichen?

Nein. Ich gehe privat viel lieber mit meiner Frau in ein Restaurant oder in einen Pub, sofern das die Pandemie wieder zulässt. Aber als Autor und Journalist finde ich es sehr spannend zu erfahren, was mit uns passiert, nachdem wir gestorben sind. Das ist ein Thema, über das sonst gerne geschwiegen wird – und genau deswegen ist es hochinteressant.

Vor knapp 20 Jahren haben Sie selbst zahlreiche Leichen gesehen. Wie kam es dazu?

Ich schrieb einen Artikel über die Body Farm, eine Forschungseinrichtung der Universität von Tennessee. Dort werden Tote für wissenschaftliche Zwecke vergraben, um die Verwesungsprozesse studieren zu können. Je mehr ich sah und recherchierte, umso faszinierter war ich. Heute, im Rückblick, weiß ich: Diese Reise hat mein Leben verändert. Denn beim Anblick der Leichen kam ich auf die Idee für die Figur des David Hunter.

Auch in Ihrem neuen Thriller gibt es unheimliche, gruselige Momente, die an Geister- oder Horrorgeschichten erinnern. Haben Sie als Kind solche Bücher gelesen?

Und wie! Schon als Acht- oder Neunjähriger begeisterten mich Horrorgeschichten, und ich konnte nicht genug davon bekommen. In der Stadtbibliothek von Sheffield durfte ich sogar in die Erwachsenenabteilung – dort bekam ich neuen Nachschub und träumte davon, selbst einmal Autor zu werden.

Was hielten Ihre Eltern von diesem zwiespältigen Hobby?

Sie waren sehr liberal und haben mich immer darin unterstützt zu lesen. Ich spürte ihr Vertrauen, die richtige Buchauswahl getroffen zu haben. Vielleicht haben sie gemerkt, dass mich nicht brutale, sondern eher ruhige, atmosphärische Spannungsgeschichten anzogen. Interessanterweise ist das genau der Stil, den ich inzwischen selbst als Autor bevorzuge.

Von Ruhe kann in „Die Verlorenen“ allerdings keine Rede sein. Ihre neue Serienfigur Jonah Colley jagt durch den Plot, gerät selbst unter Mordverdacht und muss an gruseligen Orten wie heruntergekommenen Hafengebäuden und verlassenen Tiefgaragen ermitteln.

Sie haben recht: Das Tempo ist diesmal etwas höher. Und ich liebe es, meine Bücher an Orten spielen zu lassen, an denen unsere Urängste hervorkommen. Das Gruselige und Dunkle ist optimal dafür geeignet, beim Lesen völlig gebannt zu sein; dazu noch eine Prise Übernatürliches oder Rätselhaftes, und schon zwingt einen die Handlung, bis zum Schluss weiter mitzufiebern.

Warum tun sich das Ihre Leser an, auch in Pandemiezeiten, in denen der Tod näher zu sein scheint als sonst?

Das ist wie ein Abenteuer, ein Thrill. Und zwar in einer sicheren und kontrollierten Umgebung. Wir genießen ja auch eine Achterbahnfahrt – weil wir im Fallen Angst bekommen, schreien und den Abgrund vor uns sehen, und doch wissen, dass es ein Spiel ist und wieder nach oben geht. Am Wunsch nach Eskapismus, der Flucht aus der Realität, ändert somit auch die Pandemie nichts, im Gegenteil. Wir möchten uns ablenken, und das gelingt mit Thrillern besonders gut. Das ist im Übrigen kein neues Phänomen: Auch bei Shakespeare gab es Verbrechen und Gewalt, und die Menschen liebten es. Heute würde man viele seiner Stücke wohl als Thriller oder Krimis bezeichnen.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren alten Freunden?

Ja. Wir haben uns immer getroffen, und es ist schließlich auch nicht so, dass ich als Bestsellerautor zur Welt gekommen bin. Ich arbeitete als Journalist und Englischlehrer in Spanien, und sogar eine Karriere als Musiker erschien mir wahrscheinlicher, als meinen Lebensunterhalt mit Schreiben zu verdienen. Ich spielte als Percussionist in mehreren Bands, die jedoch immer erst dann erfolgreich wurden, nachdem ich ausgestiegen war. Meine Bandkollegen treffe ich noch heute.

Wie kommt es, dass Sie den Traum vom Schreiben nicht aufgegeben haben?

Ohne meine Frau Hilary hätte ich es niemals geschafft. Wir sind seit fast 40 Jahren ein Paar, und sie hatte immer das Vertrauen in meine Fähigkeiten als Autor, auch nach vielen frustrierenden Absagen. Hilary hat mir Mut gemacht, mich bestätigt und unterstützt. Als meine Karriere noch ganz am Anfang war, hat sie wesentlich mehr zu unserem Haushaltseinkommen beigetragen als ich. Ich bin ihr unendlich dankbar.

Das Interview führte der Journalist Günter Keil.

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