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01.06.2022

Schwächen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes

Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) bekennt sich Deutschland ausdrücklich dazu, Einwanderungsland zu sein. Nach Jahrzehnten des Streits und der Leugnung dieses Umstands hat der Begriff Einwanderung endlich Eingang im Gesetzestext gefunden.

Zugegeben, die Startbedingungen dieses Gesetzes waren tatsächlich nicht die besten. Parallel zum Inkrafttreten des FEG kam Corona und nur gute zwei Wochen später der erste Lockdown. Auch in der migrationsrechtlichen Praxis hatte dies weitreichende Konsequenzen. Denn sämtliche deutsche Auslandsvertretungen reagierten auf die Pandemie mit Behördenschließungen und der Stornierung von bereits vor langer Zeit gebuchten Terminen zur Beantragung nationaler Visa – der Auslandstitel, die eine langfristige Zukunft in Deutschland verheißen.

Dann führten auch die mit der Pandemie eintretenden Existenzsorgen vieler Menschen und Unternehmen dazu, dass der Wunsch nach mehr Zuwanderung von Fachkräften, also kostenintensiven Investitionen in die Zukunft eines Unternehmens, nur noch gebremst umgesetzt wurde. Daher konnte das FEG in vielen Bereichen sein tatsächliches Potenzial nicht entfalten. Dies gilt bis heute.

Doch langsam scheint ein Licht am Ende des Tunnels zu leuchten – denn im Jahr 2022 ist auch für den deutschen Mittelstand die Zuwanderung von Fachkräften wieder ein Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Ungewissheiten bei nicht-akademischen Fachkräften

Mit dem Gesetz wurde zunächst der Begriff der Fachkraft vereinheitlicht, was sicherlich der richtige Ansatz war. In § 18 Abs. 3 AufenthG differenziert das Gesetz – verkürzt gesprochen – zwischen zwei Arten von Fachkräften: akademische Fachkräfte mit einem anerkannten Hochschulabschluss und Fachkräfte mit einer in Deutschland anerkannten Berufsausbildung. Während die erste Kategorie in der Regel leicht zu bestimmen ist – ein Blick in die Datenbank Anabin (Infoportal zu ausländischen Bildungsabschlüssen) der Kultusministerkonferenz genügt hierfür in der Regel – bereiten die nicht-akademischen Fachkräfte in der Praxis den Arbeitgebern und ihren Migrations-Rechtsanwältinnen erhebliche Schwierigkeiten.

Da die Maßstäbe für die Anerkennung relativ flexibel gehandhabt werden können, kann ein und dieselbe Ausbildung in unterschiedlichen Bundesländern und Behörden zu unterschiedlichen Bewertungen führen.

Denn ob jemand als Fachkraft mit Berufsausbildung bezeichnet werden kann und ob die jeweilige Ausbildung in Deutschland anerkannt wird, ist keine Frage, die einheitlich beantwortet werden kann. Je nach Berufszweig kann die Kompetenz für die Bewertung der im Ausland erworbenen Ausbildung bei den Industrie- und Handelskammern, den Handwerkskammern oder den Gesundheitsbehörden der Länder liegen. Da auch die Maßstäbe für die Anerkennung relativ flexibel gehandhabt werden können, kann ein und dieselbe Ausbildung in unterschiedlichen Bundesländern und Behörden zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Dies macht die Sache nicht gerade einfacher und führt zu erheblicher Planungsunsicherheit.

Genau dies ist das größte Problem des FEG: Die deutsche Wirtschaft benötigt eben nicht nur Akademiker anerkannter Universitäten, um wirtschaftlich stabil zu bleiben. Deutschland muss auch gewährleisten, dass Handwerksberufe und überhaupt alle Berufe, die durch eine qualifizierte Berufsausbildung zugänglich werden, erleichtert durch Drittstaatsangehörige ausgeübt werden können.

Aus Sicht der entscheidenden Behörden, allen voran die Handwerkskammern, sind im Ausland erworbene Berufsausbildungen faktisch wertlos. Wer aber mehr als 20 Jahre Berufserfahrung als Friseur hat und sein Können, wie zum Beispiel in der Türkei, kaum durch theoretische Schulbesuche, sondern durch die handfeste Praxis erlangt hat, dürfte wohl kaum schlechter Haare schneiden als das deutsche Pendant. Ähnlich wird es beim Dachdecker oder Fliesenleger sein. Hier bedarf es eines Umdenkens, wenn wir mittelfristig konkurrenzfähig bleiben wollen.

Auch Hilfskräfte fehlen

Aber damit nicht genug: Denn beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist der Name auch Programm. Deutschland benötigt nicht nur Fachkräfte, sondern auch viel ungelerntes Personal, das nicht unter den Begriff der Fachkraft fällt: vom Sortierer über den Packer, den Transporterfahrer, den Bauhelfer oder die Hilfskraft in der Pflege. Für diese Personengruppen, die dringend benötigt werden, ist die Zuwanderung nach Deutschland in der Regel nicht vorgesehen. Und insoweit wird auch der Erfolg des deutschen Mittelstands, und zwar an vielen Stellen, davon abhängig sein, wie gut Erwerbsmigration künftig gelingen wird.

Schnelle Reform nötig

Nach zwei Jahren des FEG lassen sich jedoch durchaus positive Tendenzen erkennen, die gesetzgeberischen Vorgaben gehen aber in vielen Fällen an dem vorbei, was die Wirtschaft in Deutschland insgesamt benötigt. Deshalb würde die deutsche Bundesregierung gut daran tun, die Vorgaben für arbeitswilliges und weniger formalqualifiziertes Personal aus dem Ausland zu erleichtern und mit einem wohldurchdachten Integrationsprogramm zu fördern. In diesem Fall wäre nicht zuletzt der deutsche Mittelstand der Gewinner einer Wirtschaftspolitik, die künftige Entwicklungen auch migrationsrechtlich im Blick hat.

Dr. Martin Manzel
Fachanwalt für Migrationsrecht
Rechtsanwaltskanzlei Dr. Martin Manzel
BVMW-Mitglied
www.ra-manzel.de

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