Green Deal und Prags EU-Ratspräsidentschaft europa sterne vor kernkraftwerk

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01.06.2022

Green Deal und Prags EU-Ratspräsidentschaft

Die neue tschechische Regierung, die fast genauso jung wie die deutsche ist, hat deutlich zu Anfang erklärt, dass sie für neue Herausforderungen offen ist. Der Green Deal gehört dazu.

Dieser Deal kann nicht nur Europa im Kampf gegen den Klimawandel helfen, er kann auch zur Erneuerung der tschechischen Wirtschaft beitragen.

Tschechien profitiert seit langem von seiner vorteilhaften geografischen Lage, die aber auch dazu geführt hat, dass während der postkommunistischen Transformation eine Reihe von Subunternehmen entstanden ist, die voll auf Kunden in den alten EU-Mitgliedstaaten angewiesen sind. Der Green Deal mag eine weitere Transformation unserer Wirtschaft anstoßen, diesmal in der Richtung zur Herstellung und Fertigung von Endprodukten. Viele kleine und mittlere Unternehmen spüren schon jetzt ihre Chance.

Zeitenwende für Deutschland

Die EU-Ratspräsidentschaft ist eine große Ehre für die Tschechische Republik und natürlich auch ein großes logistisches Ereignis. Das Programm der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft ist noch work in progress, nicht zuletzt wegen der russischen Invasion in der Ukraine. Im Horizont von Tagen änderte sich, was jahrzehntelang unantastbar gewesen war. Deutschland musste sich unter anderem vom Rezept seiner uralten Ostpolitik verabschieden und erlebte seine „Zeitenwende" im Bereich der Sicherheitspolitik. Für uns alle ist seit dem Kriegsanfang klar, dass zu den Prioritäten nicht nur die Bewältigung der Lage in der Ukraine und der damit verbundenen Flüchtlingskrise, sondern auch die Energiesicherheit der EU gehören werden. Aufbau der Energiesicherheit ist ein ideales Beispiel, um die gegenwärtige Zwickmühle, in der man sich befindet, zu illustrieren. Die tschechische Debatte über Energie und Energiesicherheit hat sich zweifelsohne langfristig von der deutschen Sichtweise unterschieden. Dies hängt mit der spezifischen Energiesituation zusammen, die jeder Mitgliedstaat vorfindet und nicht nach Beliebigkeit im eigenen strategischen Denken ändern kann. Ungeachtet des Krieges bleibt es zwingend, dass alle Mitgliedstaaten die Reduzierung der Treibhausgasproduktion weiterhin einhalten. Gleichzeitig muss die EU ihre Energieversorgungssicherheit gewährleisten. Leider oder zum Glück gibt es in der EU kein Patentrezept, um beide Ziele in der jetzigen Situation zu erreichen. Es gibt keine andere Wahl, als gemeinsam auf die Suche nach den optimalen, nachhaltigen Wegen zu suchen. Anstelle von Führungskraft und Imitation kommt nun das Gebot der allseitigen Aufgeschlossenheit und Inspiration.

Ausbau der Kernkraft

Im tschechischen Umfeld finden wir Bedingungen vor, die uns zwingen, auf Energieeinsparung, auf erneuerbare Quellen, aber auch auf Kernenergie zu setzen. Der Grund ist einfach: Wir sind ein Land ohne Zugang zum Meer, mit einer hohen Bevölkerungsdichte und einer starken Konzentration von Industrie. Es ist daher klar, dass wir uns im Gegensatz zu einigen anderen Ländern nicht allein auf Erneuerbare Energien verlassen können. Im März startete die tschechische Regierung eine lang vorbereitete Ausschreibung für den Bau eines neuen Blocks für das Kernkraftwerk in Dukovany. Unternehmen aus Russland oder China dürfen an der Ausschreibung aus Sicherheitsgründen nicht teilnehmen. Wir sehen die Zukunft auch in kleinen modularen Reaktoren.

Russlands Druck auf die Gaspreise im Herbst 2021 und der Angriff auf die Ukraine machen die Bemühungen unserer Unternehmen und Bürger, Energie zu sparen oder lokal aus erneuerbaren Quellen zu erwerben, nur noch zwingender. Was früher vor allem dank Subventionen Anreiz bot, ist heute aus rein wirtschaftlicher Sicht oft begehrt.

Es gibt keine andere Wahl, als gemeinsam auf die Suche nach den optimalen, nachhaltigen Wegen zu suchen.

Schauen wir zum Beispiel auf die Solarenergie, die vor rund 15 Jahren wegen der nicht durchdachten Subventionierung in Verruf kam. Doch heute nimmt sich die Situation anders aus, nachdem große Industrieunternehmen damit begannen, große Flachdächer sowohl zur Energie- als auch zur Wassergewinnung zu nutzen. Solarenergie sowie andere Arten von erneuerbaren Quellen haben in unserem Land wieder grünes Licht bekommen.

Investitionen im Ausland

Wir sehen auch eine Reihe von Möglichkeiten für tschechische Unternehmen. Nicht nur für diejenigen, die innovative und umweltfreundliche Energie nutzen, sondern auch für diejenigen, die sie produzieren. Wir können zurecht stolz auf eine Reihe von Unternehmen sein, die in diesen Technologien sehr progressiv sind. Viele unserer Unternehmen im Bereich der Elektrotechnik bauen heutzutage HighEnd-Geräte für intelligente Netze, intelligente Solarkraftwerke, schonende Gründächer oder Energiespeicher. Nicht selten finden sie dabei Abnehmer für ihre Technologien auch in Deutschland, was unser gemeinsames Potenzial in diesem Bereich vergrößern kann.

Einige tschechische Unternehmen investieren auch in die Erzeugung erneuerbarer Ressourcen im Ausland an Orten, an denen economies of scale genutzt werden können. So baut das tschechische Unternehmen Solek Group im Rahmen eines Projekts, in das der amerikanische Investmentfonds BlackRock investiert hat, den größten Solarpark Chiles. In ähnlicher Weise engagiert sich der tschechische Fonds Green Horizon Renewables über eine Mehrheitsbeteiligung an der finnischen Winda Energy in Finnland, wo er große Pläne hat – er möchte ein Zehntel des lokalen Windstrommarktes erwerben. In Tschechien verfolgt man mit großem Interesse auch die deutschen Pläne, in Windparks zu investieren. Außerdem sind die Tschechen traditionell stark im Bau von Wasserkraftwerken, sowohl kleinen lokalen als auch größeren. So investiert die tschechische EnergoProGruppe in Wasserkraftwerke in der Türkei, Bulgarien und Georgien, wo sie mittlerweile für ein Fünftel des jährlichen Energieverbrauchs des Landes sorgt.

Der Fortschritt, den man in Deutschland im ganzen Komplex von Wasserstoff erzielt, lässt tschechische Unternehmen hoffen, dass auch sie davon Gebrauch machen und sich in einigen Projekten einbringen können. Die Zeit von Wasserstoff kommt langsam, und man möchte die neue Ära mittragen. In der tschechischen Botschaft in Berlin organisieren wir regelmäßig Veranstaltungen zum Thema Wasserstoff. Wir arbeiten mit Wasserstoffverbänden aus beiden Ländern zusammen und planen, tschechische Unternehmen bei der Teilnahme an Wasserstoffprojekten auch in Deutschland zu unterstützen.

S. E. Tomáš Kafka
Botschafter der Tschechischen Republik
www.mzv.cz/berlin/de/die_botschaft/botschafter.html

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