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01.08.2022

Der Einkauf entscheidet

Verkauf und Vertrieb nehmen in allen Branchen eine prominente Stelle ein, der Einkauf hingegen steht seltener im Fokus.

Warum das falsch ist, erklärt Gundula Ullah im Gespräch mit DER Mittelstand.

DER Mittelstand.: Stimmt die Kaufmannsweisheit „Im Einkauf liegt der Gewinn"?

Gundula Ullah: Der Einkauf entscheidet über Wohl und Wehe des Betriebs. Der Einkäufer wählt gemeinsam mit der Fachabteilung den richtigen Partner aus und ist damit für einen großen Teil der Wertschöpfung verantwortlich. Jeder beim Einkauf eingesparte Euro erhöht den Umsatz um das Dreifache. Aber es geht nicht nur ums Sparen. Ein guter Einkäufer betreibt auch Risikomanagement und hat somit Einfluss auf die Unternehmensstrategie: Welcher Lieferant ist der richtige Partner, liefert er zuverlässig, ist er solvent, stimmt seine CO2 Bilanz, kann mein Unternehmen mit diesem Lieferanten das Lieferkettengesetz einhalten?

Wie kann denn ein mittelständisches Unternehmen das überhaupt kontrollieren?
Der Gesetzgeber hat einen klaren Anforderungskatalog erstellt. Werden Menschenrechte eingehalten, wird der Mindestlohn gezahlt, werden Chemikalien verwendet? Zumeist kann man nur die wesentlichen Lieferanten überprüfen. Die Funke Mediengruppe etwa hat im Tagesgeschäft über 20.000 Lieferanten. Für kleinere Unternehmen bietet sich schlicht der Dialog über Fragebögen an. Man muss gegenüber dem Gesetzgeber klarstellen, dass man sich als Unternehmen mit der Materie beschäftigt hat. Es wird wohl auf eine Berichtspflicht hinauslaufen.

Ein Einkäufer dokumentiert also eine Menge …
Dokumentation und das Monitoring gehören zum Einkauf, doch der Einkäufer entscheidet ja nicht allein über Geschäftspartner, ermöglicht aber der Geschäftsführung vernünftige Entscheidungen. Er dokumentiert die qualitative und quantitative Performance des Lieferanten. Kommt es zu Problemen, muss er moderieren. Eskalieren die Probleme, muss die Rechtsabteilung übernehmen.

Jeder beim Einkauf eingesparte Euro erhöht den Umsatz um das Dreifache.

Muss der Einkäufer juristisch geschult sein?
Er muss ein Verständnis über Vertragsklauseln und ihre Bedeutung haben. Etwa Vertragsstrafen bei Spätanlieferung: Wie viel sind diese Strafen im Verhältnis zum Gesamtvertragswerk wert? Wenn es um Haftungsfragen geht, muss er bedenken, wie sehr sein eigenes Unternehmen exponiert wird, wenn es zur Haftung kommt. All dies muss er schon in den Verhandlungen mitdenken. Er darf nicht über Klauseln reden, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Daher sind regelmäßige Schulungen unerlässlich.

Die Digitalisierung schreitet voran. Wie beeinflusst sie den Einkauf?
Digitale Tools können den Einkauf erheblich erleichtern. Zwei Kernprozesse sollten in mittelständischen Unternehmen abgebildet sein: Der Ausschreibungsprozess, also der Prozess „Source-to-Contract", und der Bestellprozess „Purchase-to-Order". Für beide gibt es digitale Lösungen, die den gesamten operativen Einkaufsprozess vorbestimmen und automatisieren. Bestelldokumente, Auftragsbestätigung und alle anderen Dokumente müssen per Klick vorliegen. Die meisten digitalen Warenwirtschaftssysteme bieten das an. Im Source- to-Contract-Prozess findet der Einkäufer digitale Unterstützung durch digitale Plattformen, auf denen er seine Ausschreibung platziert. Das spart zahlreiche E-Mails. Für hochstandardisierte Produkte gibt es Bieterplattformen ähnlich wie eBay, wo sich der günstigste Anbieter bewerben kann. Das erspart Preisverhandlungen.

Wie steht es denn um die Digitalisierung im deutschen Mittelstand?
Der Mittelstand ist, vor allem während und nach der Pandemie, damit beschäftigt, die Produktion am Laufen zu halten und eine stabile Finanzlage zu wahren. Dabei stehen Investitionen in die Digitalisierung dringend an, sonst bleibt der Mittelstand im papierbehafteten Mittelalter stecken. Letztes Jahr haben wir in unserem Einkaufsbarometer Mittelstand 240 Mittelständler befragt. Lediglich 13 Prozent nutzen ein E-Procurement-System für die Datenverwaltung im Einkauf und nur vier Prozent ein Supplier-Relationship-Management- System. Ein Viertel der KMU verwendet als System für die Verwaltung von Beschaffungsdaten noch immer Excel. Noch nicht einmal die Hälfte nutzt ein ERP-System, also das Enterprise Resource Planning zur Ressourcenplanung.

Nicht nur die Pandemie belastet den Mittelstand – Stichworte Materialengpässe und Ukraine.
In der Tat belastet all das Lieferketten und Versorgungssicherheit. Für den Einkäufer gilt: Nicht alle Eier aus einem Korb kaufen. Er muss untersuchen: Wo kommen die Waren her, was sind kritische Teile, bei denen vielleicht Engpässe herrschen? Kommen diese aus einem Kriegsgebiet oder herrscht Rohstoffmangel? Gibt es Substitutionsprodukte, und woher beziehe ich sie? Auch kleinere Unternehmen sollten sich nicht auf eine oder wenige Quellen verlassen. Das Lieferantenportfolio muss breit aufgestellt sein.

Viel Verantwortung also für die Einkaufabteilung. Wie findet ein mittelständisches Unternehmen den idealen Einkäufer?
Idealerweise kommt er aus der Branche, er bringt sozusagen den Stallgeruch mit. Er verfügt über ein gutes Zahlenverständnis, das braucht er zur Datenanalyse. Seine vorrangigen Ziele sind die Digitalisierung der Prozesse, die Nutzung von Einsparmöglichkeiten und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Und er oder sie muss Leidenschaft für Menschen mitbringen. Einkauf ist People Business.

Das Gespräch führte Bernd Ratmeyer, Journalist.

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