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Unternehmertum
01.08.2022

Was fehlt, wird erfunden - und hergestellt

Zwei betagte Schwestern gründeten 2010 ein Start-up im Berliner Bezirk Reinickendorf: Saba-Wäsche, Kleidung für Menschen mit Funktionsschwächen und Handicaps.

Autor: Herbert Beinlich

Die 82-jährige Gisela-Elisabeth Winkler war sichtlich aufgeregt, aber auch stolz, als sie am 16. Juni 2022 auf die Bühne gerufen wurde und den mit 60.000 Euro dotierten Zugabe-Preis von der Körber-Stiftung überreicht bekam.

Die Gründung der GmbH war dem persönlichen Schicksal Gisela-Elisabeth Winklers geschuldet. Ihr Mann war zwanzig Jahre zuvor an Demenz erkrankt, und sie musste ihn seitdem pflegen. Neben der emotionalen Belastung machte ihr auch die zunehmende Bewegungsunfähigkeit ihres Mannes zu schaffen, die Arme konnte er nur noch unter Schmerzen heben. Besonders das Wechseln der Unterwäsche wurde zunehmend zur Qual.

Selbst ist die Frau

Nach der vergeblichen Suche nach einer Lösung im Internet und in Sanitätshäusern besprach sie sich mit ihrer Schwester Sigrid Ladig. Denn die ehemalige Berufsschullehrerin und Künstlerin hatte mehr als dreißig Jahre zuvor ihre Schneidermeisterlehre mit Bravour bestanden. Schon der erste Prototyp begeisterte die Pflegerinnen und Pfleger ihres Mannes, weil sie beim Wäschewechsel kaum mehr Kraft aufwenden mussten, der Patient weniger Schmerzen verspürte und auch noch wertvolle Zeit gespart werden konnte.

Goldmedaille und Patent

Nachdem die beiden Schwestern nur Lob von Betroffenen und Pflegepersonal einheimsten, meldeten sie ihre Funktionsunterwäsche 2008 zur Internationalen Erfindermesse in Nürnberg an. Prompt gewannen sie die Goldmedaille für ihre Saba Wäsche. Als sie zwei Jahre später ihr Patent erhielten und eine Firma in Chemnitz fanden, die ihre Ideen für die hochwertige und anschmiegsame Unterwäsche umsetzen und produzieren konnten, gründeten sie die Ladig & Winkler GmbH. Bei der Frage nach einem Kredit für das BVMW-Mitglied Ladig & Winkler gab es zwar viel Lob von den Bankangestellten, nur finanzieren wollten sie das junge Unternehmen mit dem Verweis auf das Alter der beiden Gründerinnen nicht. „Von sowas lassen wir uns nicht unterkriegen“, beschlossen sie und besorgten sich die notwendigen Mittel im Bekannten- und Freundeskreis. Inzwischen verkaufen die Ex-Redakteurin und die Ex-Lehrerin ihre Wäsche erfolgreich in ganz Europa. Ein Antrag zur Zulassung als Pflegehilfsmittel durch den Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen ist auf den Weg gebracht.

In der Begründung der Jury des Körber-Preises heißt es: Motiviert durch den sozialen Nutzen und nicht durch Gewinnmaximierung sind die beiden Quereinsteigerinnen ein Vorbild für den gesellschaftlichen Veränderungswillen, Kreativität und den mutigen Neuanfang im Alter.

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