Prof. Dr. Marcus Stück: Die Pandemie ist eine Identitätskrise, persönlich für den Einzelnen, der mit Corona einen Kontakt- und Kontrollverlust erlebt, aber auch kollektiv für die Gesellschaft, weil sich neue Werte wie gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit etablieren. Für Unternehmen hat diese Krise daher Chancen und Risiken. Doch um gestärkt aus dieser Sondersituation zu kommen, bedarf es gesunder Mitarbeiter.
Unsere Befragung „Corona und Psyche“, die unmittelbar zum ersten Lockdown im März 2020 gestartet ist, zeigt, dass die Pandemie Ängste auslöst, die ein Teil der Befragten reflektiert sowie verarbeitet und somit auch gesund bleibt. Der andere Teil will diese Sorgen jedoch nicht an sich heranlassen, sondern sucht mitunter externe Schuldige für sein Unwohlsein. Letztere befinden sich seit dem Frühjahr 2020 in einer ständigen Stresssituation, können schlechter abschalten und haben eine erhöhte Wahrscheinlichkeit krank zu werden.
Psychische Erschöpfungszustände sind das eine. Körperlich wird aufgrund der Dauerangespanntheit das Immunsystem destabilisiert. Auch Rückenschmerzen, Verspannungen in Schulter und Nacken sowie Magen-Darm-Probleme sind Anzeichen für eine sogenannte Hypersensibilität.
Ich plädiere für körperbezogene Entspannungsmethoden wie Yoga, Tai Chi oder Qigong. Wem das zu esoterisch ist, der sollte als Geschäftsführung zumindest Dialogräume für die Belegschaft anbieten.
Insbesondere der oben skizzierte Personenkreis, der sich durch die Krise ständig bedroht sieht und die Stresssituation nicht allein
ausbalancieren kann, trägt Wut, Trauer und Frust mit sich herum. Das muss raus. Chefs müssen daher ihre Führungskräfte schulen, um Betroffene zu erkennen und anzusprechen.
Sofern es das Infektionsgeschehen zulässt, müssen Vorgesetzte die Balance zwischen Online- und Präsenzphasen finden. Soziale Beziehungen gilt es aufrechtzuerhalten, egal, ob der Mitarbeiter im Nachbarbüro oder 30 Kilometer entfernt im heimischen Arbeitszimmer sitzt. Deswegen nochmals meine Empfehlung, Führungskräfte im Umgang mit Mitarbeitenden zu coachen.
Den Abbau von Kontrollambitionen. Diese Krise beschleunigt existenzielle Veränderungen in der Arbeitswelt. Chefs müssen die Eigenverantwortung von Mitarbeitern fördern, sowohl was die dienstlichen Aufgaben betrifft als auch bezogen auf deren Gesundheit. Führungskräfte müssen ihr Team darin bestärken, eigene Grenzen wahrzunehmen und auszudrücken.
Gut zu wissen
Das Interview führte Céline Nickol,
BVMW Referentin Bildung und Digitales
Foto: © Ines Escherich Fotografie