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Berlin, 15.07.2025 Lesezeit: 5 Minuten

Employer Branding verliert an Kraft, wo Führung an der Vergangenheit festhält

Jonas war motiviert – bis zur Einführung der Präsenzpflicht

Autor: Nico Wittig - Organisationsberatung

Wie Vertrauen, Kultur und strategisches HR heute über den Erfolg von morgen entscheiden

Als Jonas sich vor einem Jahr bei seinem neuen Arbeitgeber bewarb, war es vor allem eines, das ihn überzeugte: die Flexibilität, remote zu arbeiten.
Seine Frau war gerade in Teilzeit zurück im Job, das erste Kind im Kita-Alter, die Tagesstruktur fein austariert zwischen Arbeit, Familienzeit und geteilten Verantwortungen. Jonas pendelte nur an zwei Tagen ins Büro, den Rest der Woche arbeitete er fokussiert von zu Hause.

Doch seit wenigen Wochen ist alles anders.
Das Unternehmen hat – ohne Vorwarnung – alle Mitarbeitenden wieder vollständig ins Büro zurückgeholt. „Sichtbarkeit schafft Verbindlichkeit“, hieß es in der E-Mail der Geschäftsführung. Keine Diskussion.

Für Jonas bedeutet das: drei Stunden täglich im Auto, weniger Zeit mit seinem Kind, eine belastete Beziehung – und wachsender Frust.

Er arbeitet nun mehr gegen das System als für das Unternehmen.
Er ist unkonzentrierter, weniger kreativ, und innerlich bereits auf dem Absprung. Sein LinkedIn-Profil ist aktualisiert. Jobportale besucht er nun regelmäßig. Die Loyalität ist weg.

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Nico Wittig - Organisationsberatung

Ein Einzelfall? Ganz und gar nicht.

Die Geschichte von Jonas steht exemplarisch für eine wachsende Diskrepanz in vielen Unternehmen:
Zwischen strategischer Personalführung und kurzfristiger Steuerung.
Zwischen Employer Branding als Investition – und dem Missverständnis, es sei ein Kommunikationsgimmick.

Rückfall in alte Muster – aus Bequemlichkeit oder Unsicherheit?

Viele Unternehmen sehen sich aktuell im Vorteil: „Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht“, heißt es. Die Anzahl der Bewerbungen steigt wieder, Verfügbarkeiten nehmen zu und Führungskräfte atmen auf.

Doch dieser scheinbare Rückenwind ist trügerisch. Denn:

  • Der demografische Wandel ist nicht gestoppt.
  • Die Zahl qualifizierter Fachkräfte sinkt weiter.
  • Und die Talente, die man gewinnen möchte, vergleichen nicht nur Gehälter, sondern Haltungen.

Statt moderne Führungsmodelle weiterzuentwickeln, beobachten wir vielerorts einen Rückfall in klassische Präsenzkultur und Top-Down-Denken.
Das Problem daran: Es ist keine bewusste Strategie, sondern oft schlicht ein Fehlen der strukturellen und kulturellen Voraussetzungen, um anders zu führen.

Remote Work: Ein Kultur- und Infrastrukturthema

Die Debatte um Homeoffice ist emotional aufgeladen.
Oft geht es dabei nicht um echte Performance-Bedenken, sondern um Kontrollverlust, Kommunikationsmuster und Infrastrukturdefizite.

Fakt ist:

Studien (z. B. von McKinsey, Fraunhofer IAO oder Gallup) belegen: Mitarbeitende, die hybrid arbeiten können, zeigen höhere Arbeitszufriedenheit, weniger Wechselbereitschaft und bessere Leistung.

Und doch wird Homeoffice in vielen Betrieben nicht aus technischer Not, sondern aus kulturellem Widerstand verbannt.
Die Folge: Sinkende Arbeitgeberbindung, wie bei Jonas. Und eine tickende Zeitbombe, wenn sich der Markt erneut dreht.

Der „Full-Stack-Recruiter“: Symptom einer strukturellen Schieflage

Aktuell beobachten wir in HR-Abteilungen ein gefährliches Muster:
Statt Employer Branding als strategische Funktion zu etablieren, wird es „mitgemacht“ – vom Recruiting, von Marketing, von irgendwem mit Canva-Zugang.

Das führt zur Überforderung, Verwässerung und schließlich zur Frustration – sowohl im Team als auch bei der Geschäftsführung.

Wenn Employer Branding als „Nebensache“ mitläuft, kann es seinen Hebel nicht entfalten. Es wird also im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung genau das Gimmick, für das es gehalten wird, weil die positiven Effekte inkonsequenter Umsetzung ausbleiben – oder sogar negativ ausfallen.

Was fehlt, ist eine strukturierte Rollentrennung: Nur mit klaren sinnvollen Verantwortlichkeiten entstehen Verantwortung, Qualität und nachhaltige Wirkung.

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Nico Wittig - Organisationsberatung

Was sie jetzt tun können:

1. Führung modernisieren – nicht nur kontrollieren

Warum das jetzt wichtig ist:

Viele Führungskräfte im Mittelstand sind in einer klassischen Präsenzkultur sozialisiert. Für hybride Führung fehlen oft Erfahrungswerte, passende Strukturen – und manchmal schlicht die Sicherheit, wie sie „wirksam auf Distanz“ führen können. Das Resultat: Rückzug in Kontrolle, Verlust von Vertrauen.

Was konkret hilft:

  • Typische Führungsängste offen ansprechen
    Statt „führen wir halt wieder alle ins Büro zurück“, lohnt es sich, die wahren Fragen zu stellen:
    Wie erkenne ich Leistung remote? Wie halte ich mein Team zusammen?
    → Der offene Austausch darüber im Führungskreis schafft Klarheit und entlastet.
  • Kommunikation bewusst strukturieren
    Remote-Teams brauchen mehr Führung, nicht weniger – aber in anderer Form:
    • Klare Ziele & Zuständigkeiten
    • Regelmäßige 1:1s
    • Klare Kanäle & „Spielregeln“ (Wann Teams, wann Mail, wann Sync?)
  • Peer-Learning ermöglichen
    Kein Tool ersetzt das Gespräch mit jemandem, der es schon erlebt hat.
    Monatliche „Leadership Circles“ oder kollegiale Fallbesprechungen stärken das Führungsverständnis auf Augenhöhe.

2. Infrastruktur befähigen – pragmatisch, aber konsequent

Warum das jetzt wichtig ist:

Fehlende Technik ist kein Argument gegen Remote Work, sondern fehlendes Enablement. Remote Work scheitert selten an Menschen, sondern an Tools, Prozessen oder unklaren Erwartungen. Wer moderne Arbeit ermöglichen will, muss nicht alles neu machen – aber konsequent die Basics in Ordnung bringen. Wer es heute nicht schafft, virtuelle Teams zu führen, wird morgen den Kampf um die Besetzung von Schlüsselpositionen verlieren.

Was konkret hilft:

  • Technik als Arbeitsmittel behandeln – nicht als Option
    Laptop, VPN, funktionierende Kamera & Mikro: Das ist nicht Komfort, sondern Infrastruktur. Wer Homeoffice anbietet, aber nur halbe Lösungen zur Verfügung stellen kann, erzeugt Frust statt Fokus.
  • Tool-Wildwuchs eindämmen, Standards schaffen
    Viele Teams arbeiten gleichzeitig mit Mails, Teams, Slack, Excel & Sharepoint – ohne Regeln.
    Eine einheitliche Tool-Landschaft (z. B. Teams + OneDrive + Planner) mit klaren Anwendungsfällen bringt Klarheit.
  • Digitale Zusammenarbeit vereinfachen
    Eine zentrale Frage im Team-Setup: Was ist bei uns „sichtbare Zusammenarbeit“?
    → Daily Check-ins, Kanban-Boards oder asynchrone Status-Updates helfen, ohne zu kontrollieren.

Hybrides Arbeiten braucht keine 100 Tools – sondern klare Strukturen, einfache Regeln und ein verlässliches Setup, auf das sich alle verlassen können.

3. Employer Branding strategisch verankern – nicht nebenbei betreiben

Warum das jetzt wichtig ist:

Employer Branding wird oft mit reiner Kommunikation verwechselt. Dabei ist es ein strategischer Hebel, um die richtigen Talente anzuziehen und zu binden und was oft vergessen wird – die aktuellen Mitarbeitenden zu halten. Ohne klare Verantwortung bleibt es ein Aktionsfeld ohne Wirkung.

Was konkret hilft – auch ohne eigenes Employer Branding-Team:

  • Strategische Klarheit schaffen:
    Wofür stehen wir als Arbeitgeber? Was unterscheidet uns vom Wettbewerb? Und wo sehe ich Beweise dafür im Alltag? An der letzten Frage scheitern die meisten Organisationen 
    → Die Antworten darauf sind nicht nur HR-Aufgabe, sondern Führungsfrage.
  • Verantwortung definieren & priorisieren:
    Wer kümmert sich aktiv darum, dass unsere Kultur sichtbar wird?
    → Das kann eine einzelne Person (z. B. aus HR oder Kommunikation) mit einem klaren Mandat sein – oder ein (temporäres) Projektteam.
  • Recruiting-KPIs mit Branding-Maßnahmen verbinden:
    Wenn Employer Branding nicht auf bessere Bewerbungseingänge, schnellere Besetzung oder höhere Retention einzahlt, fehlt die Relevanz. 
    → Beispielhafte KPIs: Absprungrate im Bewerbungsprozess, Referral-Rate, Bewerber:innenzufriedenheit. 

Employer Branding ist kein Kreativprojekt – es ist ein Business-Instrument. Wer es mit Strategie betreibt, senkt Kosten und stärkt die Arbeitgeberposition nachhaltig.

4. Kultur bewusst gestalten – ohne Kuschelkurs, mit Klarheit

Warum das jetzt wichtig ist:

Kultur entsteht nicht auf Folien – sie zeigt sich im Alltag: in Meetings, Entscheidungen und Konflikten. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, welche Werte tatsächlich gelebt werden – und ob das Unternehmen attraktiv bleibt.

Was konkret hilft – auch mit begrenzten Ressourcen:

  • Feedback in kleinen Formaten ermöglichen:
    Ein monatlicher Mini-Puls mit 3 anonymen Fragen kann mehr bewirken als aufwendige Jahresumfragen. Wichtig ist: Rückmeldung ernst nehmen und transparent reagieren.
  • Führungskräfte in die Kulturverantwortung nehmen:
    Kulturarbeit ist kein HR-Monopol. Jede Führungskraft prägt die Kultur aktiv mit – durch Verhalten, Sprache und Entscheidungen.
    → Deshalb: Kulturthemen im Leadership-Kreis regelmäßig thematisieren.
  • Werte in Entscheidungen sichtbar machen:
    Beispiel: Wir bleiben bei 3 Remote-Tagen – nicht weil wir müssen, sondern weil wir vertrauen.
    → Solche Kommunikation verankert Haltung.

Kultur ist der Rahmen, in dem Leistung entsteht. Wer sie ernst nimmt, gewinnt nicht nur Loyalität, sondern auch Qualität und Resilienz.

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Nico Wittig - Organisationsberatung

Also: Wer Jonas verliert, verliert mehr als nur eine Stelle

Der Fall von Jonas ist kein hypothetisches Konstrukt – es ist die Realität vieler Fach- und Führungskräfte. Ihre Wechselbereitschaft hat wenig mit „Gen Z“-Mentalität zu tun, sondern mit fehlender strategischer Führung.

Wer jetzt glaubt, sich Kultur, Vertrauen und Employer Branding „später wieder leisten“ zu können, wird später sehr viel bezahlen müssen – in Form von Zeit, Geld, Energie und Know-how.

Die gute Nachricht:

Unternehmen, die antizyklisch investieren, klar führen und Employer Branding als echten Performance-Hebel begreifen, sichern sich den entscheidenden Vorsprung.

Denn in Erinnerung bleibt nicht nur, was ein Unternehmen verkauft hat.
Sondern wie es sich verhalten hat, als es darauf ankam.

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