Respekt für Leistungsträger ist unverzichtbar – gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
Jonas war motiviert – bis zur Einführung der Präsenzpflicht
Wie Vertrauen, Kultur und strategisches HR heute über den Erfolg von morgen entscheiden
Als Jonas sich vor einem Jahr bei seinem neuen Arbeitgeber bewarb, war es vor allem eines, das ihn überzeugte: die Flexibilität, remote zu arbeiten.
Seine Frau war gerade in Teilzeit zurück im Job, das erste Kind im Kita-Alter, die Tagesstruktur fein austariert zwischen Arbeit, Familienzeit und geteilten Verantwortungen. Jonas pendelte nur an zwei Tagen ins Büro, den Rest der Woche arbeitete er fokussiert von zu Hause.
Doch seit wenigen Wochen ist alles anders.
Das Unternehmen hat – ohne Vorwarnung – alle Mitarbeitenden wieder vollständig ins Büro zurückgeholt. „Sichtbarkeit schafft Verbindlichkeit“, hieß es in der E-Mail der Geschäftsführung. Keine Diskussion.
Für Jonas bedeutet das: drei Stunden täglich im Auto, weniger Zeit mit seinem Kind, eine belastete Beziehung – und wachsender Frust.
Er arbeitet nun mehr gegen das System als für das Unternehmen.
Er ist unkonzentrierter, weniger kreativ, und innerlich bereits auf dem Absprung. Sein LinkedIn-Profil ist aktualisiert. Jobportale besucht er nun regelmäßig. Die Loyalität ist weg.
Nico Wittig - Organisationsberatung
Die Geschichte von Jonas steht exemplarisch für eine wachsende Diskrepanz in vielen Unternehmen:
Zwischen strategischer Personalführung und kurzfristiger Steuerung.
Zwischen Employer Branding als Investition – und dem Missverständnis, es sei ein Kommunikationsgimmick.
Viele Unternehmen sehen sich aktuell im Vorteil: „Der Arbeitsmarkt hat sich gedreht“, heißt es. Die Anzahl der Bewerbungen steigt wieder, Verfügbarkeiten nehmen zu und Führungskräfte atmen auf.
Doch dieser scheinbare Rückenwind ist trügerisch. Denn:
Statt moderne Führungsmodelle weiterzuentwickeln, beobachten wir vielerorts einen Rückfall in klassische Präsenzkultur und Top-Down-Denken.
Das Problem daran: Es ist keine bewusste Strategie, sondern oft schlicht ein Fehlen der strukturellen und kulturellen Voraussetzungen, um anders zu führen.
Die Debatte um Homeoffice ist emotional aufgeladen.
Oft geht es dabei nicht um echte Performance-Bedenken, sondern um Kontrollverlust, Kommunikationsmuster und Infrastrukturdefizite.
Studien (z. B. von McKinsey, Fraunhofer IAO oder Gallup) belegen: Mitarbeitende, die hybrid arbeiten können, zeigen höhere Arbeitszufriedenheit, weniger Wechselbereitschaft und bessere Leistung.
Und doch wird Homeoffice in vielen Betrieben nicht aus technischer Not, sondern aus kulturellem Widerstand verbannt.
Die Folge: Sinkende Arbeitgeberbindung, wie bei Jonas. Und eine tickende Zeitbombe, wenn sich der Markt erneut dreht.
Aktuell beobachten wir in HR-Abteilungen ein gefährliches Muster:
Statt Employer Branding als strategische Funktion zu etablieren, wird es „mitgemacht“ – vom Recruiting, von Marketing, von irgendwem mit Canva-Zugang.
Das führt zur Überforderung, Verwässerung und schließlich zur Frustration – sowohl im Team als auch bei der Geschäftsführung.
Wenn Employer Branding als „Nebensache“ mitläuft, kann es seinen Hebel nicht entfalten. Es wird also im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung genau das Gimmick, für das es gehalten wird, weil die positiven Effekte inkonsequenter Umsetzung ausbleiben – oder sogar negativ ausfallen.
Was fehlt, ist eine strukturierte Rollentrennung: Nur mit klaren sinnvollen Verantwortlichkeiten entstehen Verantwortung, Qualität und nachhaltige Wirkung.
Nico Wittig - Organisationsberatung
Was sie jetzt tun können:
Viele Führungskräfte im Mittelstand sind in einer klassischen Präsenzkultur sozialisiert. Für hybride Führung fehlen oft Erfahrungswerte, passende Strukturen – und manchmal schlicht die Sicherheit, wie sie „wirksam auf Distanz“ führen können. Das Resultat: Rückzug in Kontrolle, Verlust von Vertrauen.
Fehlende Technik ist kein Argument gegen Remote Work, sondern fehlendes Enablement. Remote Work scheitert selten an Menschen, sondern an Tools, Prozessen oder unklaren Erwartungen. Wer moderne Arbeit ermöglichen will, muss nicht alles neu machen – aber konsequent die Basics in Ordnung bringen. Wer es heute nicht schafft, virtuelle Teams zu führen, wird morgen den Kampf um die Besetzung von Schlüsselpositionen verlieren.
Hybrides Arbeiten braucht keine 100 Tools – sondern klare Strukturen, einfache Regeln und ein verlässliches Setup, auf das sich alle verlassen können.
Employer Branding wird oft mit reiner Kommunikation verwechselt. Dabei ist es ein strategischer Hebel, um die richtigen Talente anzuziehen und zu binden und was oft vergessen wird – die aktuellen Mitarbeitenden zu halten. Ohne klare Verantwortung bleibt es ein Aktionsfeld ohne Wirkung.
Employer Branding ist kein Kreativprojekt – es ist ein Business-Instrument. Wer es mit Strategie betreibt, senkt Kosten und stärkt die Arbeitgeberposition nachhaltig.
Kultur entsteht nicht auf Folien – sie zeigt sich im Alltag: in Meetings, Entscheidungen und Konflikten. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, welche Werte tatsächlich gelebt werden – und ob das Unternehmen attraktiv bleibt.
Kultur ist der Rahmen, in dem Leistung entsteht. Wer sie ernst nimmt, gewinnt nicht nur Loyalität, sondern auch Qualität und Resilienz.
Nico Wittig - Organisationsberatung
Der Fall von Jonas ist kein hypothetisches Konstrukt – es ist die Realität vieler Fach- und Führungskräfte. Ihre Wechselbereitschaft hat wenig mit „Gen Z“-Mentalität zu tun, sondern mit fehlender strategischer Führung.
Wer jetzt glaubt, sich Kultur, Vertrauen und Employer Branding „später wieder leisten“ zu können, wird später sehr viel bezahlen müssen – in Form von Zeit, Geld, Energie und Know-how.
Unternehmen, die antizyklisch investieren, klar führen und Employer Branding als echten Performance-Hebel begreifen, sichern sich den entscheidenden Vorsprung.
Denn in Erinnerung bleibt nicht nur, was ein Unternehmen verkauft hat.
Sondern wie es sich verhalten hat, als es darauf ankam.