Starken Frauen im Mittelstand: Erleben Sie die spannenden Geschichten weiblicher Talente aus dem Netzwerk des BVMW.
Natalie Biele
Die Geschäftsführende Gesellschafterin der Solvie und Kollegen Unternehmensberater GmbH im Interview für die Initiative „Starke Frauen – Starker Mittelstand“.
Wie sind Sie dazu gekommen, Unternehmerin/Führungskraft zu werden?
Als ich nach meiner ersten Elternzeit in meinen alten Job zurückkehren wollte, begrüßte mich mein neuer Chef mit den Worten, dass ich in Teilzeit nicht den Anspruch haben dürfe, weiterhin die gleichen intellektuell herausfordernden und verantwortungsvollen Aufgaben zu übernehmen wie vor der Geburt meines Sohnes. In diesem Moment war für mich klar: In dieser Firma sehe ich keine Zukunft mehr.
Über alte Verbindungen kam ich zu Solvie und Kollegen, zunächst gedacht als Übergangslösung. Doch wie das Leben manchmal spielt: Aus dem Provisorium wurde eine echte Heimat. Zehn Jahre später bin ich noch immer hier, und seit 2019 auch Geschäftsführerin und Gesellschafterin.
Unternehmertum ist für mich dabei etwas ganz Besonderes. Es bedeutet Freiheit und Verantwortung zugleich: die Freiheit, Neues zu gestalten und Dinge anders zu machen, und die Verantwortung, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Menschen wachsen können. Ich empfinde es als großes Privileg, sowohl beim Kunden als auch im eigenen Unternehmen gestalten zu dürfen, im Sinne der Mitarbeitenden, der Firma und unserer gemeinsamen Entwicklung.
Meine Vision ist es, ein Unternehmen zu führen, in dem jeder Mensch er selbst sein kann. Authentizität, Vertrauen und Gestaltungsfreude sind für mich die Basis. Diese Vision ist sicher auch durch meine eigenen Erfahrungen geprägt, durch die Momente, in denen mir Grenzen gesetzt wurden, und die Erkenntnis, dass ein wertschätzendes Umfeld den entscheidenden Unterschied macht. Denn nur so entsteht ein Raum, in dem Innovation, Freude und nachhaltiger Erfolg wirklich möglich werden.
Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, würden Sie denselben Weg nochmal gehen? Oder würden Sie etwas anders machen.
Ich würde genau denselben Weg noch einmal gehen, mit all den Fehlern, Umwegen, Tränen und schlaflosen Nächten, die dazugehört haben. Denn am Ende kann ich sagen: Ich bin beruflich sehr glücklich und darf genau das tun, was mir Freude macht – und zwar zu meinen eigenen Bedingungen.
Würde ich mir im Nachhinein auch nur einen einzigen Stein aus dem Weg räumen, wäre ich heute wahrscheinlich nicht da, wo ich jetzt bin. Und das wäre wirklich schade.
Welche Entscheidung würden Sie für sich als Wegweisendste bezeichnen oder auch die, aus der Sie am meisten gelernt haben?
Der Moment, in dem ich mich für mich entschieden habe und aufhörte, es allen recht machen zu wollen, war ein echter Wendepunkt in meinem Leben. Plötzlich spürte ich eine Leichtigkeit, die ich lange vermisst hatte, und die Angst vor der Zukunft verlor an Macht.
Zuvor hatte ich lange aus einem Mangel heraus gelebt: das Gefühl, nie genug zu sein, nicht gut genug im Job, nicht genug Zeit für alles aufbringen zu können, nicht gut genug als Mama. Ständig hatte ich Angst, wichtige Dinge zu verpassen, von Kollegen oder anderen Müttern nicht anerkannt zu werden. In diesem Druck habe ich mich ein Stück weit selbst verloren.
Ich habe gelernt, mich selbst ernst zu nehmen, meinen eigenen Maßstab zu finden und auf meine Intuition zu vertrauen. Ich bin keine Getriebene mehr, sondern eine Weichenstellerin, jemand, der Verantwortung übernimmt, bewusst Richtungen bestimmt, Dinge gestaltet und andere inspiriert, statt von äußeren Erwartungen getrieben zu werden.
Was war die größte Herausforderung, die Ihnen begegnet ist?
Die größte Herausforderung für mich war der Spagat zwischen Familie, meinem eigenen Anspruch, den Erwartungen der Kollegen, den Anforderungen der Kunden und gleichzeitig den Bedürfnissen meiner Kinder gerecht zu werden, ohne dabei selbst auf der Strecke zu bleiben.
Es war schwer zu akzeptieren, dass ich nicht immer dabei sein konnte, wenn meine Kinder ihr Seepferdchen bestanden, ihr erstes Tor geschossen haben oder Trost brauchten, wenn sie am Telefon weinten, weil sie etwas Trauriges erlebt hatten. Dieses permanente Gefühl, etwas zu verpassen, gepaart mit dem Druck, im Job nicht gut genug zu sein, hat mich lange begleitet und oft an meine Grenzen gebracht.
Mittlerweile kann ich damit besser umgehen und habe Strategien gefunden, um die Balance zu halten. Trotzdem bleibt es eine Herausforderung, die mich immer wieder fordert und daran erinnert, bewusst Prioritäten zu setzen und mir selbst Raum zu geben.
Womit beschäftigen Sie sich derzeit besonders intensiv?
Derzeit beschäftige ich mich besonders intensiv mit dem Thema Führung und den heutigen Ansprüchen, die damit verbunden sind. Mir geht es um einen ganzheitlichen Ansatz, der Führungskräften hilft, nicht auszubrennen, und gleichzeitig Teams stärkt: gesund, leistungsfähig und mit Freude an der Zusammenarbeit.
Ein besonderer Fokus liegt für mich auf Frauen und jungen Eltern in Führungsrollen. Sie sind oft doppelt gefordert, zwischen Verantwortung im Job, Erwartungen im privaten Umfeld und dem Anspruch an sich selbst. Gerade hier braucht es mehr Verständnis, passende Rahmenbedingungen und Unterstützung.
Wichtig ist mir außerdem, mehr Wahrheit und Echtheit in unseren Austausch zu bringen. Denn nur wenn wir ehrlich über Herausforderungen sprechen, entsteht Vertrauen und genau das ist die Basis für nachhaltige Leistung, gesunde Teams und Führung, die trägt.
Wodurch erfahren Sie besondere Wertschätzung für Ihre Arbeit?
Besondere Wertschätzung erfahre ich, wenn ich spüre, dass meine Arbeit wirklich etwas bewegt, sei es bei unseren Kunden, die durch unsere Zusammenarbeit neue Klarheit, Motivation oder Orientierung gewinnen, oder im eigenen Unternehmen, wenn mein Team gerne zur Arbeit kommt, sich entfalten kann und wir gemeinsam gestalten.
Für mich ist es ein großes Kompliment, wenn Menschen mir ihr Vertrauen schenken, offen über ihre Themen sprechen und den Weg mit mir gehen, gerade dann, wenn es auch mal unbequem wird. Und auch, wenn Kollegen oder Kunden rückmelden, dass sie sich durch meine Haltung gesehen, ernst genommen und inspiriert fühlen.
Am meisten Wertschätzung steckt für mich aber oft in den kleinen Momenten: ein ehrliches Danke, ein spürbares Aufatmen, ein Lächeln, das zeigt, dass gerade etwas leichter geworden ist. Das sind die Momente, in denen ich weiß, warum ich meinen Weg gehe, trotz aller Herausforderungen.
Welche Botschaft möchten Sie frisch gebackenen Unternehmerinnen oder Gründerinnen/Führungskräften mitgeben?
Meine Botschaft an frisch gebackene Unternehmerinnen, Gründerinnen oder Führungskräfte ist: Habt den Mut, euren eigenen Weg zu gehen, auch wenn er nicht immer geradlinig ist und manchmal Tränen oder schlaflose Nächte kostet. Versucht nicht, es allen recht zu machen, sondern hört auf euch selbst. Ihr wisst am besten, was für euch und euer Unternehmen gut ist.
Akzeptiert, dass ihr nicht überall gleichzeitig sein könnt, weder im Job noch in der Familie und dass das völlig in Ordnung ist. Perfektion ist eine Illusion, Authentizität dagegen ein Geschenk, für euch selbst und für euer Umfeld. Erlaubt euch auch, zu scheitern. Das ist nichts Schlechtes, im Gegenteil: Aus Fehlern entsteht oft das größte Wachstum, neue Klarheit und manchmal sogar der nächste große Durchbruch.
Sucht euch Menschen, die euch unterstützen, inspirieren und ehrlich spiegeln. Und vertraut darauf: Ihr müsst nicht getrieben sein, ihr dürft gestalten.
Mit welchen wesentlichen Maßnahmen fördern Sie in Ihrem Unternehmen gezielt Female Empowerment und geben Ihren Mitarbeiterinnen Rückenwind?
In unserem Unternehmen ist Female Empowerment oder besser gesagt Human Empowerment keine Floskel, sondern gelebte Haltung. Wir schaffen einen Arbeitsplatz, der den Menschen in seiner ganzen Vielfalt sieht: als Individuum mit eigenen Stärken, Bedürfnissen und Lebensrealitäten.
Denn unsere Beratung ist humanzentriert, nicht ressourcenorientiert. Für uns zählt nicht die reine „Verfügbarkeit“, sondern das echte Potenzial. Wir glauben: Wer sich gesehen und gestärkt fühlt, kann über sich hinauswachsen und genau das macht Teams und Unternehmen nachhaltig erfolgreich.
Von der Politik erwarte ich hinsichtlich einer stärkeren Unterstützung von Unternehmerinnen und der Entwicklung von Frauen in Unternehmen im Allgemeinen ...
…klare und praxisnahe Rahmenbedingungen, die Vereinbarkeit von Familie und Führung erleichtern. Dazu gehören flexible Modelle für Kinderbetreuung, steuerliche Anreize und Strukturen, die es ermöglichen, dass Frauen nicht zwischen Karriere und Familie wählen müssen.
Ebenso wünsche ich mir mehr Sichtbarkeit und gezielte Förderprogramme für Unternehmerinnen, Gründerinnen und weibliche Führungskräfte nicht als Sonderrolle, sondern als selbstverständlichen Teil einer vielfältigen Wirtschaft.
Und vor allem erwarte ich eine Kultur der Ermutigung: Scheitern darf kein Stigma sein, sondern muss als Teil von Wachstum und Innovation verstanden werden. Nur so schaffen wir es, dass Frauen ihre Stärken einbringen können, ohne permanent gegen unsichtbare Hürden anzukämpfen.
Welches Buch empfehlen Sie angehenden Unternehmerinnen/Führungskräften?
Ich empfehle angehenden Unternehmerinnen und Führungskräften „Lean In“ von Sheryl Sandberg. Das Buch ist eine Mischung aus persönlichen Erfahrungen, praktischen Tipps und motivierenden Impulsen, wie Frauen Selbstvertrauen entwickeln, Chancen ergreifen und Führungsrollen aktiv gestalten können.
Es zeigt auf ehrliche Weise, dass es kein perfektes Rezept gibt, aber sehr wohl Strategien, die helfen, Hürden zu überwinden, Netzwerke zu nutzen und den eigenen Weg mutig zu gehen. Für mich ist es ein Buch, das ermutigt, authentisch zu führen und gleichzeitig für sich selbst einzustehen, genau das, was ich auch in meiner Arbeit mit Unternehmerinnen und Teams vermitteln möchte.
Was wäre der Soundtrack zu Ihrem Weg in die Selbstständigkeit/zur Führungskraft?
„Fight Song” von Rachel Platten
„This is my fight song…“ Rachel Platten beschreibt genau das Gefühl, das mich auf meinem Weg zur Selbstständigkeit getragen hat: Ich habe gelernt, für mich selbst einzustehen, meinen eigenen Maßstab zu finden und mutig meinen Weg zu gehen, auch wenn es Tränen, schlaflose Nächte und unsichere Momente gab.
Ein guter Tag beginnt für mich mit …
…mit fünfzehn Minuten Kuscheln mit der ganzen Familie, ein Ritual, das bei uns an allen Arbeits- und Schultagen dazugehört. Diese kleinen Momente schenken Nähe, Energie und Klarheit, bevor uns der Alltag vereinnahmt.
Warum ist ein starkes Netzwerk für Unternehmerinnen/Führungskräfte besonders wichtig?
Netzwerke haben für Frauen eine besondere Bedeutung. Während Männer oft auf etablierte „Old Boys Networks“ zurückgreifen können, müssen wir Frauen unsere eigenen Strukturen aufbauen und am Laufen halten. Ein gutes Netzwerk ist dabei längst mehr als klassisches Kontakteknüpfen: Es wird zu einem strategischen Erfolgsfaktor, der Türen öffnet, die sonst verschlossen blieben.
Praktisch heißt das: Zugang zu Kapital, passende Geschäftspartner oder wertvolle Branchen-Insights, gerade im Mittelstand, wo Vertrauen und Empfehlungen alles sind. In Krisenzeiten bietet ein starkes Netzwerk außerdem unschätzbaren Erfahrungsschatz und emotionalen Rückhalt.
Mindestens genauso wichtig ist aber die Wirkung nach innen: Ein Netzwerk starker Frauen schafft Vorbilder, Mentoring und die Gewissheit, dass Führungspositionen keine ferne Fantasie sind. Es gibt praktische Strategien, wie sich Familie und Karriere vereinbaren lassen und zeigt: Man muss nicht alles allein schaffen. Letztlich investieren wir damit nicht nur in den eigenen Erfolg, sondern bauen Brücken für die nächste Generation von Unternehmerinnen. Ein Netzwerk wird so zu einem Instrument gesellschaftlichen Wandels und damit zu einer Verantwortung, nicht nur zu einer Chance.
Am meisten begeistert mich an meinem Beruf…
…, bei meinen Kunden und Kollegen Potenziale freizusetzen, die ihnen oft selbst gar nicht bewusst waren, und sie dadurch zum Fliegen zu bringen. Es fasziniert mich, zu sehen, wie Menschen über sich hinauswachsen, neue Perspektiven gewinnen und plötzlich merken, was alles möglich ist – sowohl im Team als auch bei den Kunden.
Welchen Berufswunsch hatten Sie als Kind?
Kindergärtnerin! Meine Logik war glasklar: den ganzen Tag Spielen UND dafür bezahlt werden, was will man mehr? Ironischerweise war das gar nicht so naiv gedacht. Denn die Fähigkeit, spielerisch an Herausforderungen heranzugehen, Menschen zu begeistern und dabei nie die Neugier zu verlieren, das sind heute meine wichtigsten Führungswerkzeuge.
Natalie Biele
Solvie und Kollegen Unternehmensberater GmbH
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