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Guillaume Perigois, Unsplash

Themen

23.06.2025

Stimme des Mittelstands in Brüssel

Austausch mit sieben EU-Generaldirektionen zu Zukunftsthemen – von Klima bis Digitalisierung

Autorin: Zahra Kalaf

Wie gelingt es, ambitionierte EU-Ziele zur Klimaneutralität, Digitalisierung und wirtschaftlichen Resilienz mit den Realitäten kleiner und mittlerer Unternehmen zu verbinden? Diese Frage stand im Zentrum einer zweitägigen Delegationsreise vom 17. bis 18. Juni 2025 der MittelstandsAllianz nach Brüssel. Vertreterinnen und Vertreter von sechs Verbänden, Unternehmen und Initiativen reisten in die belgische Hauptstadt, um mit sieben zentralen Generaldirektionen der Europäischen Kommission direkt ins Gespräch zu kommen. Mit dabei waren der Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO), der Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi), der Bundesverband Feuerverzinken, Logistic Natives gemeinsam mit Drees & Sommer SE, die dostani IT GmbH, die dategro IT sowie Vertreterinnen und Vertreter der BVMW-Initiative „Der Junge Mittelstand“. Ziel der Gespräche war es, aktuelle EU-Vorhaben aus mittelständischer Perspektive zu spiegeln und marktorientierte Impulse einzubringen. Der Austausch war geprägt von großer Offenheit auf Seiten der Kommission und einem klaren Anliegen der Delegation: Der Mittelstand will konstruktiv mitgestalten, braucht dafür aber verlässliche Rahmenbedingungen, realistische Zeitpläne und vor allem handhabbare Umsetzungen.

Beim Treffen mit der Generaldirektion Klimapolitik (DG Climate Action) zeigte sich schnell, wie stark kleine und mittlere Unternehmen vom geplanten Emissionshandel für Gebäude und Straßenverkehr (ETS2) betroffen wären. Der Mittelstand fürchtet steigende Kosten, ohne dass gleichzeitig eine tragfähige Infrastruktur oder soziale Ausgleichsmechanismen bereitstehen. Die Kommission stellte klar, dass die Einnahmen aus ETS2 anteilig in nationale Maßnahmen reinvestiert werden sollen, ein Hebel, den die Delegation ausdrücklich unterstützen würde. Gleichzeitig wurde eine neue Initiative angekündigt: Der Aufbau einer europaweiten CO₂-Infrastruktur (CISA), die derzeit vorbereitet wird und für die eine öffentliche Konsultation bevorsteht.

Im Gespräch mit der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (DG ECFIN) wurde angesichts des Frühjahrsberichts 2025 das Spannungsfeld zwischen Haushaltsdisziplin und Investitionserfordernissen deutlich. Zwar betonte die Kommission die Notwendigkeit fiskalischer Solidität, doch zeigte sie sich offen für intelligente Investitionsanreize, etwa für Digitalisierungsprojekte oder grüne Technologien im Mittelstand. Ein Vorschlag aus der Delegation stieß auf besonderes Interesse: sogenannte „weiße Listen“ europäischer Zulieferer, die dabei helfen könnten, resiliente Wertschöpfungsketten aufzubauen und strategische Abhängigkeiten zu verringern.

Auch im Austausch mit der Generaldirektion Umwelt (DG ENV) wurde spürbar, wie sehr die ökologische Transformation den Mittelstand fordert. Themen wie Kreislaufwirtschaft, Ökodesign oder der Einsatz von Rezyklaten sind zwar im Prinzip breit anerkannt, doch fehlt es oft an praxistauglichen Standards. Die Kommission arbeitet daher an freiwilligen Nachhaltigkeitskriterien sowie an neuen Tools zur Berichterstattung, die speziell auf KMU zugeschnitten sein sollen. Der Grundtenor: Nachhaltigkeit ja aber ohne bürokratische Überforderung.

Eine weitere Station führte zur Generaldirektion Handel (DG TRADE). Im Fokus standen hier sowohl bestehende Hemmnisse als auch neue Chancen. Die EU strebt strategische Abkommen mit Partnern wie Indien, Australien oder dem Mercosur an. Gerade für KMU bleibt der Zugang zu diesen Märkten jedoch schwierig. Die Kommission plant deshalb, bestehende Informations- und Unterstützungsangebote zu erweitern, um Hemmschwellen zu senken und mehr mittelständischen Unternehmen internationale Aktivitäten zu ermöglichen.

Zentral war auch das Gespräch mit der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW). Der Austausch drehte sich um den Green Deal Industrial Plan, bestehende Finanzierungsinstrumente und vor allem um das Thema Bürokratieabbau. Die Kommission bestätigte, dass bestehende Regularien zunehmend einem KMU-Check unterzogen werden sollen, um Überregulierung zu vermeiden. Die Delegation machte deutlich: Gerade in Transformationsphasen braucht es einfache, transparente und zugängliche Programme – sonst bleiben Innovationspotenziale auf der Strecke.

Mit Blick auf die Energieversorgung führte der Weg zur Generaldirektion Energie (DG ENER). Diskutiert wurden die geplante Reform des europäischen Strommarkts, die Integration erneuerbarer Energien sowie der Zugang zu langfristigen Stromabnahmeverträgen (PPAs). Der Mittelstand fordert hier vor allem Planbarkeit und faire Bedingungen, um sich aktiv an der Energiewende beteiligen zu können. Deutlich wurde: Gerade kleinere Akteure brauchen zielgerichtete Beratung und einfachere Zugänge zu Ausschreibungen und Förderungen.

Auch der Bereich Digitalisierung wurde intensiv adressiert. Bei der Generaldirektion Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien (DG CNECT) standen unter anderem das geplante EU-Gesetz für Künstliche Intelligenz (AI Act), der Zugang zu Rechenkapazitäten sowie das Thema digitale Souveränität im Mittelpunkt. Die Kommission plant unter anderem, KMU künftig besser an Hochleistungsrechenzentren anzubinden und Innovationsräume zu schaffen, die nicht nur Großunternehmen vorbehalten sind. Die Delegation betonte: Mittelständische Unternehmen sind oft technologisch führend, benötigen aber niedrigschwellige Angebote, um ihre Innovationskraft zu entfalten.

Die Reise zeigte eindrucksvoll: Die Europäische Kommission steht vor der Herausforderung, ambitionierte Zielsetzungen mit der wirtschaftlichen Realität ihrer Mitgliedstaaten zu vereinen. Der Mittelstand stellt in diesem Transformationsprozess keinen Hemmschuh dar, sondern verfügt über erhebliche Potenziale zur aktiven Mitgestaltung, vorausgesetzt, er wird politisch und strukturell angemessen eingebunden. Die Gespräche in Brüssel machten deutlich, dass es dafür auf drei Dinge besonders ankommt: verlässliche und verständliche Regelwerke, echte Entlastung bei der Umsetzung und offene Kanäle zwischen Politik und Praxis. Die Delegation der MittelstandsAllianz hat gezeigt, wie dieser Dialog aussehen kann und dass der Mittelstand bereit ist, Verantwortung für Europas Zukunft zu übernehmen.

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