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01.04.2022

Lasst schöne Dinge um uns sein

Produktdesign, Industriedesign, Alltagsdesign: Seit der Industrialisierung ist die Einheit von Schönheit und Funktion nicht mehr wegzudenken

Autor: Bernd Ratmeyer

– und etabliert sich als eigenständige Branche in der mittelständischen Unternehmerlandschaft.

Schöne Dinge wurden schon immer hergestellt. Neben der Funktionalität entscheidet die Gestaltung von Alltagsgegenständen über ihre Attraktivität für den Nutzer. Doch erst seit Kurzem übernimmt ein Designer diese Aufgabe. Mit der Industrialisierung und der Massenfertigung wurde für jedes Industrieprodukt ein Prototyp notwendig, der die jeweilige Formgestaltung in eine industrielle Reproduzierbarkeit übersetzt. Als erster Designer kann der deutsch-österreichische Michael Thonet gelten. Sein in Bugholztechnik gefertigter Stuhl ist das erste echte Designerstück; 1842 patentiert und durch industrielle Fertigung zu erschwinglichem Preis auf den Markt gebracht. Um 1900 beschäftigten seine Söhne 6.000 Mitarbeitende, die 4.000 Möbelstücke am Tag fertigten. Der ThonetStuhl wurde zur frühen Designlegende. Ein Massenprodukt und doch immer ein begehrtes Einzelstück.

Schöne Künste, schnödes Handwerk

Doch der Erfolg spiegelt auch ein Dilemma wider: War Thonet noch Unternehmer und Designer in Personalunion, differenzierten sich im Zuge der industriellen Reproduzierbarkeit die Berufsbilder auseinander. Zunehmend wurden Künstler, Maler, Bildhauer, mitunter Architekten für die Formgestaltung beauftragt; sie fanden sich naturgemäß im Spannungsfeld zwischen kreativem Künstleratelier und dreckiger Fabrikhalle wieder. Beides musste zusammengebracht werden. Die nächste Epoche deutscher Designgeschichte veranschaulicht eine durchaus erfolgreiche Liaison zwischen Kunst und industriellen Vorgaben. Der AEG-Konzern war eines der ersten deutschen Unternehmen, die sich einen eigenen „Künstlerischen Beirat" leisteten. Dort wirkte ab 1907 der Architekt und Künstler Peter Behrens, der mit Fug und Recht als Erfinder des Industriedesigns bezeichnet werden kann. Bis heute verdankt AEG sein – heute würde man sagen – Corporate Design den typographischen und gestalterischen Arbeiten Behrens. Vom Firmenlogo und Schriftarten über Briefköpfe und Werbeprospekte bis hin zum Design von Haushaltsgeräten: Peter Behrens war die stets wiedererkennbare Handschrift von AEG. Behrens war Mitbegründer des Deutschen Werkbundes, der die Versöhnung der Ästhetik mit der Massenproduktion anstrebte. Aus dieser Werkstätten-Bewegung kommend wurde schließlich das Bauhaus in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die wichtigste Designschule. Ihr Direktor Walter Gropius versammelte Künstler wie Lázló Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky oder Klaus Wagenfeldt, dessen Tischleuchte heute ein Designklassiker ist. Gleichwohl tauchte der Begriff „Design" damals nicht auf, man sprach von „industrieller Formgebung“, die Designer von damals nannten sich „Formmeister".

Mit Designabteilungen in die Moderne

Nach dem zweiten Weltkrieg waren es westdeutsche Unternehmen, allen voran die Elektrofirma Braun, die eigene Designabteilungen schufen, in denen Designer als Mittler zwischen den Visionen der Unternehmer und den produkttechnischen Anforderungen der Werkhallen und Maschinen fungierten – und zugleich größtmögliche Unabhängigkeit wahren konnten. 1955 trat der junge Dieter Rams in das Unternehmen ein, und damit begann ein eigenständiges Kapitel deutscher Designgeschichte. Die funktionale, schnörkellose Formgebung der Braun Elektrogeräte wie etwa der T 1000 Weltempfänger oder der Radio-Schallplattenspieler SK 4 waren wegweisend Entwürfe, die das Produktdesign bis heute prägen. Dieter Rams war für Jonathan Ive, den Chefdesigner bei Apple, ein großes Vorbild, kein iPhone ohne das T 1000 Radio. Rams hat immer betont, dass gelungenes Design, das sich auch in steigendem Umsatz widerspiegelt, von den Unternehmerpersönlichkeiten gewollt sein muss. Damals waren seine Ansprechpartner die Gründer Artur und Erwin Braun und nicht die Marketingabteilung oder ein Chefingenieur.

Design oder Marketing?

Heute setzen Konzerne, aber auch mittelständische Unternehmen, vermehrt auf eigene Designabteilungen. Oftmals trägt gutes Design zur Umsatzsteigerung bei. Doch nicht immer trifft der Gestaltungswille auch den Kundengeschmack. Unternehmen geben daher zusehends die Kontrolle über die Formgebung ihrer Produkte an die Marketingabteilung ab: Umfragen und Trendforschung sollen klären, was der Kunde wünscht. Was dann für den Designer übrig bleibt, wird häufig ausgelagert. Zum Beispiel an den Designer Dieter Aisslinger. Seine Karriere ist nicht untypisch für viele zeitgenössische Produktgestalter.

Nach dem Studium arbeitete er für Produktdesigner in England und Italien, um sich schließlich 1993 selbstständig zu machen. Sein Berliner Büro arbeitet seither für Kunden wie E-Plus, Mercedes Benz Flötotto, DuPont, BASF, zahlreiche Hotels oder den Schweizer Möbelhersteller Vitra. Das Studio Aisslinger ist ein mittelständischer Betrieb mit 20 Mitarbeitern, der sich in einem hart umkämpften Markt durchsetzen muss. Ähnlich wie Dieter Rams beobachtet auch er, dass vermehrt Kundenumfragen das Design verdrängen. Seine mittelständischen Kunden geben 20 Prozent des Umsatzes für Marketing aus, während die Investition für eigenständige Produktentwicklung stetig sinkt. „Aber die Zivilisation entwickelt sich nicht weiter, wenn man die Leute auf der Straße fragt, ob sie lieber Rot oder Blau mögen", so Aisslinger gegenüber dem „Tagesspiegel". Lediglich wenige eigentümergeführte Familienunternehmen haben Lust auf Neues, so wie damals die Chefs von Braun.

Keine guten Nachrichten für die geschätzten 25.000 Absolventen der Design- und Gestaltungsschulen, die jährlich auf den Markt drängen. Die große Zeit der berühmten Designer, jener schillernden Paradiesvögel und Popstars des ausgefallenen Geschmacks wie Luigi Colani, Giorgio Armani, Raymond Loewy oder Charles Eames ist vielleicht vorbei. Heute sind es kleine und mittlere Unternehmen, die für Privatkunden, Konzerne oder eben andere Mittelständler kleine und große Visionen umsetzen.

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