Im Gespräch mit Rinhold Hilbers
Jena / Saale-Holzland-Kreis.
Präzision aus Jena ist ein Begriff, seit Carl Zeiss 1846 seine feinmechanisch-optische Werkstatt in der Neugasse 7 eröffnete. 175 Jahre später ist „Präzision aus Jena“ ein Markenzeichen nicht mehr eines Unternehmens, sondern von mehr als 50 Betrieben, die in Jena oder der näheren Umgebung angesiedelt sind. Ihre Produktpalette geht weit über die Optik und Feinmechanik aus dem Zeissschen Gründerjahr hinaus. Präzision ist Voraussetzung für den Bau von Messsystemen von Confovis aus Jena, mit denen Oberflächen Nanometergenau analysiert werden können, genauso wie für die komplizierten Bauteile für Laser- oder Medizintechnik, die bei Gunter Geithner in Laasdorf gefräst, gebohrt, geschliffen und montiert. Ohne höchste Präzision bei der Fertigung würden die Kugelgewindetriebe und Zahnräder der Jenaer Gewindetechnik nicht „rund“ laufen und die künstlichen Hüft- oder Kniegelenke von Mathys aus Möhrsdorf ihren Trägern Schmerzen bereiten.
Know-How von allen für allen nutzbar machen
Um ihre Produkte mit oder für die genannte Präzision aus Jena in höchster Qualität herstellen zu können, brauchen die Unternehmen bei aller Unterschiedlichkeit ähnliches Wirtschaftliches und technisches Know-How und Innovationskraft. Um das zu bündeln und gegenseitig nutzbar zu machen, haben sich ein Dutzend Unternehmen Ende 2006 unter dem Dach des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft in der Fachgruppe „Präzision aus Jena“ zusammengeschlossen. „Was Ende der 1990er Jahre als Kooperationsverbund mehrere kleineren Unternehmen gestartet war, ist bis heute zu einem starken Netzwerk von fast 60 Partner gewachsen“, berichtet Dietmar Winter, Kreisgeschäftsführer des BVMW für Jena und den Saale-Holzland-Kreis. Nicht nur produzierende Unternehmen, auch die Jena Universität und die Ernst-Abbe Hochschule sowie Forschungsinstitute wie der Fraunhofer-Gesellschaft gehören zu dem Verbund, dessen Ziel es ist, das wissenschaftlich-technische Know-How zu bündeln, bei Forschungsaufgaben zum gegenseitigen Nutzen zu kooperieren und die Innovationskraft der beteiligten Unternehmen zu stärken. „Dafür treffen sich die Mitglieder unserer technisch ausgerichteten Fachgruppe regelmäßig. Dies geschieht im kleinen Kreis und immer in einem der beteiligten Unternehmen“.
Gute Nachbarschaft endet nicht an Kreisgrenze
Dabei gehe es darum, den gastgebenden Betrieb mit seinen Kompetenzen und Möglichkeiten kennenzulernen. „Es ist nicht selten, dass Unternehmer, deren Betriebe vielleicht sogar im gleichen Gewerbegebiet zuhause sind, beim Betriebsrundgang gestehen, nicht gewusst zu haben, was der Nachbar konkret mache. Und nicht selten kommt es vor, dass dieser Blick über den Tellerrand dann zu neuen Ideen für Produkte oder Kooperationen führt“, sagt Winter. Unternehmer und ihre Firmen miteinander bekannt zu machen, damit sie sich besser kennenlernen und wissen, wer was macht und kann, sei das Ziel aller Bemühungen des BVMW-Kreisverbandes, erklärt Winter. „So erreichen wir, dass Kooperationen geschlossen werden, dass die Aufträge hier in der Region bleiben und damit auch das Geld. Und dass so Arbeitsplätze hier gesichert werden. „Man muss Teile oder Leistungen nicht in Baden-Württemberg oder Bayern einkaufen, wenn man sie in gleicher Qualität in der Nachbarschaft bekommen kann.“ Wobei für das Unternehmensnetzwerk die Nachbarschaft nicht an der Stadt- oder Kreisgrenze endet. „In den vergangenen Jahren hat sich ein reger Austausch auch zwischen den Jenaer Firmen und denen im Saale-Holzland-Kreis entwickelt. Die Entfernungen zwischen Jena und dem Hermsdorfer Kreuz sind ja auch nicht wirklich groß“, sagt Winter.
Erfahrungsaustausch von Technoclub bis Businessclub
Mit diesem Anspruch wurden in diesem Jahr – trotz Corona-Einschränkungen – 23 Veranstaltungen in Jena und im Saale-Holzland-Kreis organisiert. Manche virtuell, wie ein Sprechtag zum Markteintritt in Skandinavien oder zwei Veranstaltungen des BVMW-Businessclubs zum Thema Fachkräftegewinnung durch Zuwanderung und die sinnvolle Nutzung von Suchmaschinen. Im Alten Schloss Dornburg konnten sich die Teilnehmer treffen und ihre Unternehmen präsentieren.
Jenaer Unternehmen sind interessant auch für Bayern und Sachsen
„Während im BVMW-Technoclub die Techniker ihre Erfahrungen austauschen, geht es beim Businessclub um Wissensvermittlung in Sachen recht, Steuern und Digitalisierung“, erläutert Winter. „Auch hier sind Betriebsbesuche an der Tagesordnung.“ Zu einem echten Selbstläufer habe sich die Kooperationsbörse entwickelt, bei der die Unternehmen seit Jahren Gäste im Tagungszentrum der Universität in Dornburg sind. Wissenschaftler der Uni sind immer mit dabei, genauso wie Vertreter anderer Forschungseinrichtungen, etwa das Hermsdorfer Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme, wenn sich produzierende Firmen aus der Region treffen. „Und immer mehr Interesse findet diese Kooperationsbörse auch bei Firmen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Bayern“, berichtet Winter. Die ersten Anfragen für die Kooperationsbörse im September 2022 liegen schon auf seinem Tisch. Und die Termine für sechs Veranstaltungen zwischen Januar und Mai sind auch festgeklopft. So will die Fachgruppe „Präzision aus Jena“ einen Ausflug ins Weimarer Land zur Firma L&W Maschinenbau in Hermsdorf machen. Und im Februar gibt es bei Treffen in Eisenberg und Jena Informationen über die „City-Card“, eine Bonuskarte, mit der Unternehmer ihren Mitarbeitern finanzielle Vorteile gönnen – und den beteiligten Netzwerk-Firmen zusätzliche Umsätze verschaffen können. „Damit die Unternehmen hier voneinander profitieren können“, sagt Winter.
Text von Angelika Schimmel