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01.08.2023

Im Spannungsfeld der Lohnunterschiede

Ziel der Lohntransparenzrichtlinie ist es, dasselbe Entgelt für Frauen und Männer für gleiche und gleichwertige Arbeit in der Praxis durchzusetzen. Ein hehres Ziel, doch die...

...Richtlinie hat auch direkte Auswirkungen auf mittelständische Unternehmen. Anna Maria Wetzig ist verantwortlich für die Initiative „Starke Frauen – Starker Mittelstand“; Martin Holderied ist Referent für Arbeit und Soziales. Der Text zeigt ein Pro und Kontra über die verschiedenen Ansichten innerhalb des Verbands auf.

Pro von Anna Maria Wetzig

Das erste Spiel der Frauenfußball-WM ist angepfiffen, und immer wieder beeindruckt die wahnsinnige Leistung und Kampfgeist der Frauen. Trotz dessen, dass sich die körperliche und psychische Belastung zum Männerfußball nicht unterscheidet, verdienen die Frauen der Fußballbundesliga pro Saison im Durchschnitt etwa 20-mal weniger als die Herren. Abseits von den gravierenden Lohnlücken trotz gleicher Leistung bleibt die Diskussion rund um die Lohntransparenzrichtlinie nicht nur eine Frage der Bezahlung. Das Risiko besteht, die Richtlinie einseitig zu betrachten. Außer Acht gelassen wird bei der Debatte oft der Mehrwert für die Produktivität und das Arbeitsklima des Unternehmens. Werden Entlohnungsgrundlagen im Sinne der Richtlinie transparent gemacht, wird das Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in das Unternehmen gestärkt und die Mitarbeiterzufriedenheit gefördert. Aus sozialpsychologischer Perspektive macht es Sinn, eine Bemessungsgrundlage zu etablieren, welche die Entlohnung anhand verschiedener Erfahrungsstufen definiert.
Wenn Gender-Pay-Gap nachhaltig bekämpft werden und ein inklusives Arbeitsumfeld mit gleichen Chancen und Möglichkeiten für Männer und Frauen geschaffen werden soll, müssen die Bemühungen der Unternehmen über die reine Offenlegung im Sinne einer jährlichen Berichtspflicht hinausgehen und weitere Maßnahmen mit sich ziehen. Interne Vergütungsstrukturen sollten regelmäßig auf Fairness und Diskriminierungsfreiheit überprüft, ausgewertet und Gehaltsfestlegungsprozesse mit entsprechend effektiven und effizienten Maßnahmen unterfüttert werden. Langfristig können Unternehmen einen positiven Impact auf ihre Unternehmenskultur generieren.
Aktuell befinden wir uns in einem Kampf um die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte. Jüngere Generationen legen verstärkt Wert auf Chancengleichheit und gerechte Bezahlung. Unternehmen, die ihre Verpflichtungen im Hinblick auf die Lohntransparenz erfüllen, haben einen klaren Vorteil: Sie können sich als faire und attraktive Arbeitgeber positionieren und damit ihre eigene Reputation stärken. Im Übrigen strahlt diese auch nach außen und verhilft Unternehmen zu einem Imagegewinn. Verstärkt ist zu beobachten, dass Kundinnen und Kunden ihre Kaufentscheidung am Ruf des Unternehmens orientieren.
Ohne den eigenen Willen der Unternehmen, Löhne an Erfahrungsstufen anzupassen und Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern zu verringern, statt diese nur offenzulegen, wird sich gesellschaftlich kaum etwas ändern. Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit bedeutet gleiche Wertschätzung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, ungeachtet dem Geschlecht.

Kontra von Martin Holderied

Na toll, ein Mann der gegen Lohntransparenz argumentiert. Insgesamt ist wenig gegen die Richtlinie einzuwenden, sie wird jedoch wahrscheinlich in Deutschland nicht viel zur Reduktion der Pay-Gap beitragen. Wenn man Berufe, Branchen und Beschäftigungsgrad außer Acht lässt, verdienen Frauen in Deutschland rund 18 Prozent weniger als Männer. Bereinigt, also der Vergleich von Mann und Frau im selben Beruf, liegt die Differenz bei 6 Prozent. Die Lohntransparenz-Richtlinie der EU zahlt nur auf Letztere ein.
Im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel ist die Richtlinie problematisch. Sie verpflichtet Arbeitgeber, ein Einstiegsgehalt oder eine Gehaltsspanne im Bewerbungsprozess zu nennen. Im Wettbewerb um Fachkräfte müssen Arbeitnehmer abgeworben werden, ein höheres Gehalt ist dafür fast Pflicht. Wirbt eine Unternehmerin nun also in einer Annonce mit einem höheren Gehalt, um eine freie Stelle zu besetzen, wird sie sich sicher sein können, dass ihre Stammbelegschaft bei der nächsten Gehaltsverhandlung genau dieses Gehalt einfordert. Dieser Mechanismus kann eine ganz neue Lohnspirale entfachen.
Der Effekt, den die Richtlinie auf den bereinigten Pay-Gap in Deutschland hat, wird überschaubar sein. Sicher ist, dass in den nächsten Jahren Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern regelmäßig berichten müssen, wie hoch die Pay-Gap im Unternehmen ist. Für viele mittelständische Unternehmen entsteht so zusätzlicher bürokratischer Aufwand. Aktiv werden müssen Unternehmen allerdings nur, wenn das Entgeltgefälle mehr als 5 Prozent beträgt. Zur Erinnerung: Der deutsche Durchschnitt liegt bei 6 Prozent. Somit steht viel Aufwand für den Mittelstand für wenig Ertrag in Sachen Gleichberechtigung an.
Der Frauenanteil der Beschäftigten im niedrigbezahlten Gesundheits- und Sozialwesen liegt bei ca. 77 Prozent. Außerdem sind Frauen gut 1,5-mal so häufig ausschließlich geringfügig beschäftigt wie Männer. Frauen leisten jedoch gut 52 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit (Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege Angehöriger). Als Lösung des Problems wird oft „mehr Frauen in MINT Berufen“ genannt. Wie man das erreicht, darüber scheiden sich die Geister. Einig ist man sich nur, dass es Generationen dauern wird. Dieses Argument jedoch verkennt das Problem, dass die eigentliche Pay-Gap daraus resultiert, dass Einkommen zu selten am gesellschaftlichen Wert der Arbeit bemessen werden. Wenn man die tatsächliche Verdienstlücke schließen will, ist die Transparenzrichtlinie kein geeignetes Werkzeug. Dann sollte man über die Minijobfalle sprechen und über den Wert und die Bezahlung von unbezahlter Care-Arbeit und sozialen Berufen.

Gut zu wissen

  • Die EU-Entgelttransparenz-Richtlinie soll die Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern fördern
  • Arbeitgeber sind verpflichtet, in der Stellenanzeige oder vor dem Bewerbungsgespräch ein Einstiegsgehalt oder eine Gehaltsspanne anzugeben
  • Arbeitgeber mit mindestens 100 Mitarbeitern werden verpflichtet, in regelmäßigen Abständen über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu berichten
Anna maria wetzig

Anna Maria Wetzig

Referentin Politik Inland, Koordinatorin „Starke Frauen – Starker Mittelstand“

Potsdamer Straße 7

10785 Berlin

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Martin Holderied, Referent Arbeit und Soziales

Martin Holderied

Referent Arbeit, Soziales und Gesundheit

Potsdamer Straße 7

10785 Berlin

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