Andrea Rahn-Farr, GbR Rahn/Farr, Büdingen erläutert Hintergründe und Fakten

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01.03.2024

Die Summe aller Dinge

Agrardiesel als „Symptom“: worum geht es bei den Bauernprotesten?

Andrea Rahn-Farr, GbR Rahn/Farr, Büdingen erläutert Hintergründe und Fakten

Gut besucht war die Online-Veranstaltung Agrardiesel als „Symptom“: worum geht es bei den Bauernprotesten?, bei der die studierte Agrarwissenschaftlerin und Landwirtin Andrea Rahn-Farr Rede und Antwort stand.

Was treibt die Bauern auf die Straße? Was hat es mit der Kürzung der Agrardiesel-Subventionen überhaupt auf sich?
Um es kurz zu machen: Auslöser für die Proteste waren die Kürzungen, die mit klimatechnischen Subventionen begründet wurden. Der Agrardiesel war jetzt noch das Tüpfelchen auf dem i, der berühmt-berüchtigte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn längst geht es nicht mehr um Subventionen und Dieselpreise. Es geht um mehr, um den Mittelstand, um Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich und darum, dass die Themen die gesamte Bevölkerung betreffen, wie die Proteste gezeigt haben. Schon seit 20 Jahren gärt es unterschwellig ob der Probleme in der Agrarpolitik. Es stellt sich die Frage, warum es nicht schon längst Lösungen für alle Probleme gibt. Die gibt es in der Tat, weiß Andrea Rahn-Farr zu berichten.

Bereits 2019, noch unter der Regierung Merkel, wurde eine Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) ins Leben gerufen, die sich zwei Jahre lang intensiv mit der Problematik befasst und Lösungen erarbeitet hat. Die Berichte liegen in irgendwelchen Schubladen – und nichts bewegt sich.

Genauso hat die Borchert-Kommission (benannt nach dem Vorsitzenden, Bundeslandwirtschaftsminister a.D. Jochen Borchert), den Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland erarbeitet. Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung wurde 2019 eingerichtet. Im August 2023 hat es beschlossen, seine Arbeit zu beenden

Agrardiesel-Subvention
Zur Erläuterung: Beim Agrardiesel erhält der Landwirt eine Rückvergütung auf verbrauchten Diesel aus dem Vorjahr. Und diese Rückvergütung ist nicht steuerfrei. Aktuell kostet der Liter Diesel 47 Cent, davon werden 21 Cent rückerstattet. Nicht erstattungsfähig sind hingegen Verbräuche für die Biogasanlage. Seit 2022 gibt es auch keine Steuerentlastung mehr für Biodiesel und Pflanzenöl. Ein Teil der Streichungen und Kürzungen wurde schnell wieder zurückgenommen, doch den Bauern genügt das nicht. Beim Agrardiesel wurde die Kürzung jedoch nicht zurückgenommen. Stattdessen wurde für 2025 eine in drei Schritten gestaffelte Steuererhöhung – rückwirkend für 2024 – beschlossen.

INFOBOX

„Wir wollen keine neue Kommission. Wir haben ein Umsetzungsproblem“
„Die Landwirte wollen nun endlich konkrete Ergebnisse sehen“, sagt Rahn-Farr und ergänzt: „Die Regierung hat die Aufgabe, die Probleme jetzt anzugehen!“

Warum so eine Welle? Warum sind die Bauern so wütend?
Alle Landwirte sind betroffen. Sowohl im Vollzeit- als auch im Nebenerwerb (rd. 60 % in Hessen), Tierhalter, Ackerbauern. Bei einem Verbrauch von 100.000 Litern Diesel macht die Streichung mehr als 20 Tsd. Euro aus. Die durchschnittliche Entlastung beim Agrardiesel liegt bisher bei zwei- bis dreieinhalb Tausend Euro pro Betrieb. Die Diskussion dreht sich aber nicht nur um den Diesel, sondern viel weittragender um die Wettbewerbsfähigkeit. Diese wird nicht zuletzt durch die starke Bürokratie der letzten 20 Jahre zur Herausforderung. Deutschland liegt bei der Steuersatzhöhe auf Platz 2 im EU-Ranking-Vergleich.

Erhöhte Kosten
Erhöhte Kosten kann man nicht einfach so auf die Produkte umlegen. Wenn Produkte anderswo – zum Beispiel in Spanien – billiger zu bekommen sind, dann werden sie eben dort gekauft. Bauernproteste finden im Übrigen europaweit statt, sind also kein rein deutsches und nicht nur ein Problem der jetzigen Bundesregierung.

Sinn und Unsinn der 4-Prozent-Regelung
Es besteht eine GAP EU-Vorgabe (GAP steht für Gemeinsame Agrarpolitik), wonach 4 % der Flächen stillgelegt werden müssen. Die Verpflichtung wurde letztes Jahr wegen des Ukrainekriegs ausgesetzt, ist jetzt aber wieder in der Diskussion. Dabei ist völlig klar, „wenn wir unsere Ackerflächen stilllegen, muss woanders in der Welt mehr angebaut werden“ betont Rahn-Farr. Der Bedarf bleibt ja konstant. In ihrem Betrieb wird es so gehandhabt, dass ungünstige Flächen – z.B. Hanglage oder weit entfernte Flächen – brachgelegt werden. Aber auch diese Brachflächen muss man pflegen.

Zweck der Flächenstilllegung ist die Herstellung von Flächen für Biodiversität. Es gibt eine neue Entscheidung der EU: Die Stilllegung darf ausgesetzt werden, wenn der Landwirt stattdessen Leguminosen oder Zwischenfrüchte anbaut. Die Umsetzung in nationales Recht steht noch aus.

Produktionsintegrierte Maßnahmen zu fördern bzw. diese Naturschutzleistung gut zu bezahlen könnte schon eine Lösung sein! Z.B. Getreide in weiteren Abständen zu setzen, um Lichträume für Bodenbrüter (wie Rebhuhn, Feldlerche oder Kiebitz) zu schaffen. Das System Landwirtschaft ist zu überdenken.

Forderung des Bauernverbands
Der Bauernverband ist aktiv. Er fordert eine für die Landwirtschaft tragfähige Lösung beim Agrardiesel. Steuerliche Entlastungen und Maßnahmen zur Stärkung des einzelbetrieblichen Risikomanagements. Steuerbefreiung für den Einsatz von nicht fossilen Kraftstoffen in der Landwirtschaft.

„Wir müssen in Verhandlungsmodus kommen“
Andrea Rahn-Farr ist der Meinung, dass man die Bauern motivieren muss. Also weg von der Ausgleichs- bzw. Kompensationslogik hin zur Leistungsvergütung für gesellschaftlich erwünschte Leistungen, z. B. Artenschutz oder Tierwohl, welche aber nicht vom Markt vergütet werden. Der beste Motor für Investitionen wäre Planungssicherheit! Zum Beispiel, indem man nicht dauernd Änderungen der Vorschriften, quasi mit jedem Regierungswechsel, vornimmt. Somit sind Investitionen nicht planbar. Das ist kontraproduktiv. Die Mehrheit der Betriebsleiter ist zwischen 55 und 60 Jahre alt. Die Suche nach Hofnachfolgern gestaltet sich schwierig. Fehlende Planungssicherheit, demotivierende Politik und gesellschaftliches Umfeld (z. B. keine Baugenehmigungen für Ställe oder Polizeieinsätze, wenn nachts der Mähdrescher läuft) sind der Grund. Niemand will unter diesen Voraussetzungen Risiken eingehen, die von existenzieller Bedeutung sind.

„Wir brauchen Bürokratieabbau und Risikovorsorge: gerade bei den volatilen Märkten und Schwankungen (Wetter, Preise …) sollten Landwirte eine (steuerfreie) Risikoausgleichsrücklage bilden können, um für schlechte Zeiten selbst vorsorgen zu können“, lautet das Fazit von Andrea Rahn-Farr.

Deutschland ist in allen Bereichen überbürokratisiert. Nicht von ungefähr wurde daher ein Planungsbeschleunigungsgesetz nötig.

Wichtig sei es jetzt vor allem, in den Verhandlungsmodus zu kommen, so Rahn-Farr. Die Bauern haben mit ihren Demos eine große Öffentlichkeit erreicht und auf ihre Lage aufmerksam gemacht. Sie haben ein wichtiges Signal an die Politik gesendet. Aktuell haben sie eine Demopause eingelegt. Stattdessen zeigen sie Präsenz bei Veranstaltungen und suchen dort die Diskussion mit den Politikern.

60 Minuten geballte Informationen und Insiderwissen. Es war interessant zu erfahren, um was es den Bauern wirklich geht, was die Hintergründe sind und wie die Fakten aussehen. Die Zeit verging wie im Flug und regte die Teilnehmer an, sich noch einmal mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen.

Veranstaltungshinweis – Betriebsbesichtigung Rahn/Farr GbR
Andrea Rahn-Farr ist mit ihrem Betrieb Teilnehmer beim "Bauernhof als Klassenzimmer" und führt gerne Besuchergruppen durch ihren Betrieb. BVMW-Mitglieder und Interessierte haben am 09.07.2024 die einmalige Gelegenheit zur Betriebsbesichtigung. Sie können sich gerne schon anmelden.


Zur Person
Andrea Rahn-Farr (Jahrgang 1972) studierte Agrarwissenschaften leitet einen großen Milchviehbetrieb in Rinderbügen, ist Vorsitzende des Regionalbauernverbandes Wetterau/Frankfurt a. M. e. V., Mitglied der FDP-Fraktion im Kreistag des Wetteraukreises und BVMW Mitglied. Zum Team auf dem Preiserlenhof gehören acht Mitarbeiter, zwei Azubis und mehrere Aushilfen.

Firmeninfos
GbR Rahn/Farr
Preiserlenweg 6
63654 Büdingen
Telefon: 0171-7012580
info@rahn-farr-gbr.de


Weitere Links

Zu 1.
Zukunftskommission Landwirtschaft
https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/zukunftskommission-landwirtschaft.html

Download Broschüre: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/abschlussbericht-zukunftskommission-landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=16

Zu 2.
https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/nutztiere/umbau-nutztierhaltung.html
https://www.allianz-pro-schiene.de/themen/infrastruktur/

Zu 3.
https://www.dlg-mitteilungen.de/artikel/agrardiesel-aus-fuer-rueckverguetung

Zu 4.
https://www.bauernverband.de/
bzw. https://www.bauernverband.de/dbv-positionen/positionen-beschluesse/position/gap-nach-2027-wie-geht-es-weiter-mit-den-direktzahlungen-1

Dort findet sich auch ein Diskussionspapier: https://www.bauernverband.de/f...

Zu 5.
Das Planungsbeschleunigungsgesetz ist vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit dem Ziel entworfen worden, Planungs- und Genehmigungsverfahren beim Aus- und Neubau von Verkehrsinfrastruktur zu beschleunigen.
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/genehmigungsbeschleunigung-2187452


(Text Annette Windus, Redaktionsbüro Wortschatz)

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