prof. dr. stephan bierling

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01.08.2022

"Langweiler ertrage ich nicht"

Autorin: Alem-Adina Weisbecker

Im Interview: Prof. Dr. Stephan Bierling, deutscher Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Universität Regensburg, gilt als Experte für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen.

DER Mittelstand.: Was hat Sie dazu bewogen, Politikwissenschaftler zu werden?

Prof. Dr. Stephan Bierling: Ich bin Jahrgang 1962 und komme aus einem Dorf in den Alpen. Aber ich bin in Zeiten von Nachrüstung und sowjetischem Einmarsch in Afghanistan erwachsen geworden. Politik war allgegenwärtig in den Medien und in den Diskussionen mit meinen Buddies. An der Uni habe ich dann einen Professor gefunden, dessen intellektuellem Sog ich mich nicht entziehen konnte.

Sie veröffentlichen, halten Vorträge – werden Ihre Ratschläge von der Politik angenommen?
Selten. Politiker wollen meist ihre Ansichten bestätigt sehen. Tut man das nicht, ist man „out“. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine 2014 rief mich ein Bundestagsabgeordneter an und wollte wissen, ob ich nicht auch gegen Sanktionen sei. Als ich widersprach, war das Gespräch vorbei. Seit 20 Jahren fordere ich eine bessere Ausstattung der Bundeswehr – auch das wollte bis zum 24. Februar 2022 niemand hören. Die Ministerialbürokratie ist da aufgeschlossener.

In Deutschland wird aktuell viel über Waffenlieferungen an die Ukraine diskutiert. Was halten Sie davon?
Das ist typisch deutsch. Wir diskutieren Dinge zu Tode, anstatt zu handeln. Man hätte der Ukraine vor Monaten schwere Waffen liefern sollen wie die Amerikaner, Briten oder Tschechen. Hier geht es um den Überlebenskampf einer überfallenen Demokratie. Und es geht darum, Schurkenstaaten wie Russland oder China zu zeigen, dass militärische Aggression enorme Kosten verursacht und der Westen zusammensteht. Aber Bundeskanzler und Verteidigungsministerin sind führungsschwach und kommunikativ eine Katastrophe. Deutschland gilt als Problembär der Nato.

Wie steht es Ihrer Meinung nach aktuell um die transatlantischen Beziehungen?
Joe Biden behandelt uns Deutsche und Europäer mit Samthandschuhen. Er weiß, wie viel Porzellan Trump zerschlagen hat. Und er will uns als Verbündete gegen Russland und vor allem China. Verweigern wir Europäer uns diesen Wünschen und schultern wir nicht unseren Teil der Lasten, kann die Harmonie schnell enden. Das große Problem ist die politische Unentschlossenheit und militärische Schwäche Europas und besonders Deutschlands.

In Ihrem Buch „America First“ beschäftigen Sie sich ausführlich mit der Trump-Ära. Wie beurteilen Sie die politischen Entwicklungen in den USA? Rechnen Sie mit Trumps Wiederwahl?
Die parteipolitische Polarisierung hat sich tief ins amerikanische System gefressen. Vor sechs Jahren war noch viel von dem, was Trump forderte, unerhört in der Republikanischen Partei, etwa Protektionismus, Fremdenfeindlichkeit und Mauerbau. Heute ist es Mainstream. Gleichzeitig rücken die Demokraten immer weiter nach links. Im Moment ist Trump noch Favorit für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Aber Präsident kann er wohl nicht mehr werden, dazu waren seine vier Jahre im Weißen Haus zu chaotisch.

Wie ist Ihre Einschätzung zur aktuellen globalen wirtschaftlichen Situation?
Wir haben schwere Zeiten vor uns. Die Globalisierung hat ihre besten Tage hinter sich, die Frage sicherer Lieferketten rückt in den Vordergrund. In Zukunft müssen Unternehmen mehr Vorratshaltung betreiben und ihre Märkte und Zulieferer diversifizieren. Die Abhängigkeit von China ist ein riesiges Problem. Regierungen werden Firmen wie Huawei aus den westlichen Märkten ausschließen und sicherheitspolitisch sensible Güter wie Halbleiter wieder zu Hause produzieren. Das kostet.

Was hat Sie dazu bewogen, zu Ihren Vorlesungen Journalisten, Militärs, Diplomaten, Politiker und Vertreter von NGOs einzuladen?
Dreierlei. Zum einen können die Studenten testen, ob das Uni-Wissen ihnen bei der Diskussion mit Praktikern hilft. Zum anderen bekommen sie Einblicke in mögliche Berufsfelder. Schließlich ist es eine Möglichkeit, mehr herauszufinden, als in Zeitungen und Büchern steht. Wir hatten etwa Helga Schmid, die EU-Unterhändlerin bei den Iran-Atomgesprächen, gleich drei Mal zu Gast. Sie hat uns immer ein Update gegeben zum Stand der Verhandlungen und den Strategien der beteiligten Staaten. Hochspannend!

Mit welcher Politikerin, mit welchem Politiker möchten Sie sich gerne in Zukunft persönlich austauschen?
Offen gesagt, sind die meisten Politiker langweilig. Sie erzählen dir am Tresen die immer selben Anekdoten. Aber es gibt Ausnahmen: Nach einem Abend mit Theo Waigel oder Peer Steinbrück ist man klüger. Am liebsten würde ich Wolodymyr Selenskyj treffen. Ich konnte ihn bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar aus nächster Nähe bei seiner Rede beobachten. Er hat mich stark beeindruckt. Wie Churchill 1939 ist er Gewissen und Vorkämpfer der freien Welt gegenüber den Kräften des Bösen.

Was geben Sie Ihren Studenten mit auf den Weg?
Werdet komplette Menschen, lernt neue Länder und Kulturen kennen, interessiert euch für Literatur und Kunst, engagiert euch für Demokratie und Freiheit. Sollten wir uns später in der Kneipe oder bei einem Empfang begegnen, müsst ihr mir was Spannendes über euch erzählen können. Langweiler ertrage ich nicht.

Das Interview führte Alem-Adina Weisbecker, Redaktion DER Mittelstand.

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